Auch ein Sternenkind ist ein Kind!

Sternenkind

Gestern war also Kindertag und sicher haben die meisten Eltern ihrer großen und kleinen Kinder gedacht, ihnen Süßigkeiten geschenkt oder waren bei dem schönen Wetter mit ihnen ein Eis essen. Vor allem Letzteres ist nur eine Vermutung – ich habe es erfolgreich vermieden, gestern rauszugehen. Ich habe an mein Kind gedacht. Mein Sternenkind.

Was ein Sternenkind ist?

Sternenkinder werden die Kinder genannt, welche vor, während oder nach der Geburt versterben. Auch nennen viele Eltern ihre verstorbenen Kinder Sternenkinder, wenn sie im Kleinkindesalter oder als Jugendliche verstarben.

„Der poetischen Wortschöpfung liegt die Idee zugrunde, Kinder zu benennen, die „den Himmel“ (poetisch: die Sterne) „erreicht haben, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken durften“.“ Quelle: wikipedia.de

Das Kind von meinem Freund und mir starb in der 14. Schwangerschaftswoche. Wir konnten zu dem Zeitpunkt noch nicht erfahren, ob es ein Junge oder ein Mädchen war – wir haben es daher immer Knirps genannt bzw. nennen es auch heute noch so.

Die Bezeichnung Sternenkind drückt für mich eine emotionale Bindung aus – es klingt liebevoll und nicht so medizinisch wie „Abort“. Auch die Bezeichnung, dass wir ein Kind verloren haben, finde ich schwierig – ich verliere ab und an mal nen Kugelschreiber oder einen Zettel aus Schusseligkeit, so einen Ausdruck mag ich aber nicht mit dem Verlust unseres Kindes in Verbindung bringen. Auch den Begriff „Fehlgeburt“ finde ich sehr schwierig … vielleicht liegt es an dem Wortteil „fehl“, welches mir impliziert, dass ich einen Fehler gemacht habe und Schuld an dem ganzen sei!?

Es geht aber nicht um Schuld – versuche ich zumindest so zu sehen. Es ist gestorben, doch ich weiß weder wieso noch warum. Diese Fragen versuche ich auch zu vermeiden, sie bringen mich nur ins Grübeln und verstärken meine Verzweiflung. Ich möchte lernen, den Tod unseres Kindes zu akzeptieren bzw. diesen zu verarbeiten. Zugleich möchte ich es nicht vergessen und in Erinnerun behalten. Und so vergeht kein Tag, an dem ich nicht an unser Sternenkind denke.

Der Verlust eines Kindes – ein weiteres Tabu-Thema in unserer Gesellschaft

Ich frage mich oft, was mit meinem Kind ist, wo es jetzt wirklich ist, was es macht, was es denkt, was es fühlt und ob es ihm gut geht, dort, wo es jetzt ist. Mag mein Sternenkind die Sterne genauso wie ich?

Es sind Fragen, die ich erst beantwortet bekomme, wenn auch ich dort bin, wo es jetzt ist. Es sind Fragen, welche ich mir nicht nur an seinem Geburtstag, seinem Todestag, Weihnachten, Ostern und am Kindertag stelle. Es sind Fragen, die täglich da sind … seitdem Knirps nicht mehr da bist.

Und es sind Fragen, mit denen ich alleine bin. Viele verschweigen das Thema, sprechen mich nicht darauf an – was insoweit okay ist, weil ich auch nicht immer und mit jedem darüber sprechen möchte. Doch was mich wirklich stört und auch verletzt, dass sind Aussagen, wie dass ich damit doch mal klarkommen müsste, dass es jetzt doch schon so lange her ist (4 Jahre) und ich darüber hinweg kommen müsste. Allen voran die Aussage, dass es doch eh nur ein kleiner Zellhaufen war, was man nicht mit einem „richtigen“ Kind vergleichen könne, tut mir weh.

Diesbezüglich hat mich vor ein paar Wochen die Aussage einer Psychiaterin auch sehr geschockt – sie wusste nicht, dass auch verstorbene Ungeborene (egal in welcher Schwangerschaftswoche sie gestorben sind) beerdigt werden … immerhin ist das ja noch kein Mensch, so ihre Begründung. Für eine Ärztin, die jeden Tag mit Menschen und deren Problemen zu tun hat, war das eine ziemlich unmenschliche Aussage und für mich ein glatter Schlag ins Gesicht.

Nun, auch wenn die ganzen Organe noch nicht so funktionieren wie bei einem Neugeborenen, so ist es doch weitaus mehr, als nur ein Zellhaufen.

Für mich war es mein „richtiges“ Kind. Ich habe seine Bewegungen auf dem Ultraschall-Bildschirm gesehen, habe seine Herztöne dabei gehört und hatte sein Bildchen (vom Ultraschall) immer bei mir. Vor allem habe ich aber innerhalb von 8 Wochen eine Beziehung zu ihm aufgebaut.

Mein Freund und ich haben über Namen nachgedacht und darüber, wie wir die Wohnung einrichten  bzw. ob und wann wir umziehen würden. Wir hatten schon das erste Shirt geschenkt bekommen und ganz viel Informationsmaterial gesammelt. Wir haben beide meinen Bauch gestreichelt und mit unserem Knirps geredet. Wir haben uns auf unser erstes gemeinsames Kind vorbereitet – vor allem haben wir uns auf seine Ankunft gefreut und unsere Zukunft ausgemalt!

Respektiert meine Trauer

Natürlich ist es schwierig, mit trauernden Menschen umzugehen. Vielerlei Verhaltensweisen meines Gegenübers spiegelt dessen Unsicherheit wieder. Ich habe dazu keine Patentlösung, weiß ich doch so oft selbst nicht mit mir umzugehen … ich würde mir nur für mich wünschen, dass mir keine Ratschläge entgegen gebracht werden, weil ich am Tag des Geburtstermins oder am Todestag mehr in meiner Trauer gefangen bin, als die anderen Tage im Jahr.

Ich wünsche mir, dass meine Trauer ebenso respektiert und akzeptiert wird, wie wenn mein Kind schon auf der Welt gewesen wäre und vielleicht ein paar Jahre gelebt hätte. Für viele ist das ein riesengroßer Unterschied – für mein Gefühl jedoch nicht. Ich wünsche mir, dass ich nicht unter Druck gesetzt werde, dass mache ich so oft schon selber. Doch Menschen in meinem näheren Umfeld müssen, genauso wie ich, lernen, dass ich mit dem Abschied halt länger brauche. Ich wünsche mir, dass meine Tränen akzeptiert werden, ohne mir zu unterstellen, dass ich nur nicht loslassen möchte. Dabei ist es keine Frage des Wollens – ich kann „einfach“ noch nicht bzw. bin noch nicht soweit.

Trauer und Abschied sind sehr intime Momente im Leben eines Menschen. Und nur, weil „sowas“ fast jeder Frau mal passiert und leider durchaus gängig ist, heißt es nicht, dass es für die Mütter oder Väter leicht und nach 3 Wochen Geschichte ist.

Ich hadere mit meiner Trauer jetzt seit 4 Jahren. Nicht jeden Tag ist sie zu 100% gleich stark, es gibt auch gute Tage oder Wochen, wo die Trauer keinen großen Raum einnimmt. Und doch ist sie stets und ständig da, wenn auch leise.

Und das ist okay – versuche ich zumindest zu lernen. Meine Trauer anzunehmen, heißt auch, mich anzunehmen. Denn ich bin diejenige, mit dem riesengroßen Arsenal von Gefühlen, die mich dann und wann übermannen. Zwischenzeitlich habe ich auch verstanden, warum der Abschied für mich so schwer ist – meine Oma war der Grund, weshalb ich mir damals nicht versucht habe, dass Leben zu nehmen, mein Kind wäre ein neuer Grund gewesen.

Ich weiß auch, dass gerade für mein Kind so etwas eine Riesenverantwortung gewesen wäre und mittlerweile finde ich die Ansicht auch nicht mehr okay. Kein Kind ist dazu da, um die Eltern glücklich zu machen oder um diese am Leben zu erhalten. Doch vor 4 Jahren hab ich halt so gedacht. Und das ist auch mein Grund, weswegen ich mich seit dem Verlust unseres Knirpses sehr stark von meinem Kinderwunsch distanziere:

Ich kann kein Kind bekommen, wenn ich noch so stark mit mir selbst zu tun habe. In meinem Kopf und meiner Seele gibt es noch so viel aufzuräumen, bis da richtig Platz für ein neues, mein, Erdenkind ist. Zudem habe ich besonders mit Angst- und Katastrophengedanken zu tun, sodass ich wahrscheinlich total die Glucke wäre. Es gibt krankheitsbedingt so einige Gründe, welche gegen ein Kind sprechen. Alles in allem fühle ich mich der Verantwortung eines Kindes überhaupt nicht gewachsen.

Auch wenn einige meinen, dass das schon kommt, wenn das Kind erst einmal da ist, dass man da als Eltern reinwächst und dass das andere Mütter ja auch hinbekommen … ist mir das zu „einfach“ gedacht. Es geht eben nicht bei allen gut, dazu brauch man sich nur mal umzuschauen.

Mit diesen Aussagen möchte ich keineswegs ausdrücken, dass grundsätzlich psychisch Erkrankte keine Kinder bekommen sollen – ich rede hier von mir! Ich selbst kenne tolle Mütter, die Probleme mit sich haben, sich aber super um ihr Kind kümmern können!

Es ist wie alles, individuell zu sehen. Und weil ich hier keine Ratgeber schreibe, sondern über mich, ist es vor allem meine Entscheidung. Ich habe meine 3 Frettchen – dass sind meine Kinder. Und wegen ihnen habe ich ganz viel Freude in meinem Leben, Liebe im Herzen, Spielzeug im Wohnzimmer, aber auch ängstliche Verlustgedanken in meinem Kopf – diese Verantwortung reicht mir vollkommen. Ich bin Frettchen-Mama mit einem Sternenkind. Punkt.

Allein der Glaube, dass mein Sternenkind im Himmel bei meiner Oma ist und beide mit den Engeln fliegen lernen, lässt mich nicht total verzweifeln.

Ich stelle mir vor, wie sie gemeinsam mit Regentropfen Ball spielen, wie sie aus den Farben des Regenbogens Bilder in die Luft malen, wie sie vom Wind getragen durch den Himmel schweben, wie sie auf den Sternen sitzend die Welt beobachten und wie sie in den weichen Wolken eingekuschelt und geborgen schlafen.

Ich stelle mir vor, wie meine Oma unserem Knirps ähnlich wie mir Walzer tanzen beibringt, wie sie selbstgemachte Zitronenbrause trinken, gemeinsam Kreuzworträtsel lösen, im Fernsehen bei Quizshows mitraten und wie sie gemeinsam Enten füttern gehen. Ich stelle mir vor, wie unser Sternenkind sich mit den vielen Halstüchern meiner Oma verkleidet, wie es in ihrem Bett schlafen darf und wie lecker ihm die tolle Möhrensuppe meiner Oma schmeckt.

Ich stelle mir vor, dass meine Oma auf ihrer Wolke immer ein paar Schoko-Bons für Knirps zu stehen hat und wie sie sagt, dass er zwischendurch auch ruhig mal ein Stück Apfel essen soll. Ich stelle mir vor, wie meine Oma ihm zuzwinkert, weil die knackenden Geräusche vom Apfel, Kohlrabi und Mohrrüben so witzig sind.

Die meisten dieser Vorstellungen resultieren aus eigenen Erinnerungen mit meiner Oma, welche 16 Tage nach unserem Sternenkind gestorben ist. Mit ihrem Tod komme ich noch viel weniger zurecht, „einfach“ weil sie für mich, im wahrsten Sinne des Wortes, eine lebenswichtige Person war, aber dazu vielleicht ein andermal mehr.

Ich geh jetzt erst einmal nach meinen Kindern mit der kalten Schnauze schauen, verwöhne sie mit Leckerli und hol mir ein paar Kuscheleinheiten ab 😉

 Bildquelle: pixabay.com

Und nun?

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