5 Dinge, die Du über Angststörungen wissen sollst

Angststörungen sind neben Depressionen die häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt die Zahl der Depressions-Betroffenen auf 4,6 Millionen. Obwohl Angsterkrankungen – genau wie Depressionen – bereits zur Volkskrankheit zählen, stellen sie noch ein großes Tabuthema dar, bei welchem viele Vorurteile und Unverständnis bestehen. Doch Vorurteile und Unverständnis führen zu Einsamkeit der Betroffenen, welche die oftmals ohnehin schon bestehenden Depressionen verstärken. Ich möchte, dass Nicht-Betroffene folgende Dinge über Angststörungen wissen:

1. Angststörung ist eine „echte“ Erkrankung

Angst ist ein lebenswichtiges Gefühl, welches jeder Mensch kennt und fühlt. Jeder von uns wird in sämtlichen Situationen mit Angst konfrontiert, wenn sie uns permanent das Leben rettet: Zum Beispiel, wenn wir vor dem Überqueren einer Strasse nach rechts und links blicken, wenn wir wegen starker Magenschmerzen zum Arzt oder Ärztin gehen oder wenn wir vor Schreck auf die Bremse treten, weil wir zu spät die rote Ampel gesehen haben. Doch Angst hat nicht nur etwas mit dem Überleben zu tun: Wir alle erschrecken uns mal bei einem Krimi, verspüren ein mulmiges Gefühl, wenn wir nachts alleine eine dunkle Strasse entlanggehen oder sind sehr nervös vor einer Prüfung oder einem Gespräch mit dem Chef oder der Chefin. Wir alle kennen aufgeregtes Herzklopfen, Schweißausbrüche und innere Anspannung. Kein Mensch ist frei von Ängsten. Nach kurzer Zeit, wenn die „Gefahr“ vorüber ist, entspannen wir uns wieder.

Bei Menschen wie mir, die an einer Angststörung erkrankt sind, halten die Symptome länger an. Nahezu permanent verspüre ich das Herzrasen, die Unruhe, die Anspannung. Dadurch beeinflusst sie meinen Alltag extrem, denn ich habe überall Angst: auf der Straße, im Einkaufsladen mit zu vielen Menschen, zu Hause wenn ich alleine bin.

Bei uns Ängstlern ist das Angstzentrum im Gehirn viel zu aktiv. Genauer gesagt, liegt es an unserer Amygdala, welche ein Teil des limbischen Systems ist. Sie bewertet Situationen, analysiert mögliche Gefahren und steuert u.a. unsere Furcht. Aufgrund ihrer Hyperaktivität, schlägt sie sehr oft „Alarm“ und noch bevor wir rational die Situation einschätzen können, reagiert unser Gehirn schon auf die Gefahr: Wir bekommen Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot und weitere Angstsymptome.

Vom Großhirn zurück kommen auch Signale, z.B. dass dies ein Fehlalarm war und kein Grund zur Angst besteht. Doch diese Information wird mit einem klapprigen Fahrrad gefahren, während die Informationen über die Gefahr mit einem Ferrari transportiert wird – aufgrund dessen werden wir zwar sehr schnell ängstlich und panisch, können uns jedoch nur langsam beruhigen.

Dass unser Angstzentrum so aktiv ist, kann verschiedene Gründe haben – z.B. familiäre Veranlagung, traumatische Erlebnisse oder auch ein Ungleichgewicht an Nervenbotstoffen.

2. Angst findet nicht nur im Kopf statt

Oft sagen die Menschen „Du brauchst doch keine Angst zu haben.“ und meinen damit, dass ich nicht denken brauch, dass ich Angst habe. Doch es ist nicht so, dass ich in der Wohnung sitze und permanent denke „Ich habe davor Angst … das macht mir Angst … das wird mir Angst machen …“ – Ich weiß, dass ich keine Angst haben bräuchte und so mache ich mich oft fertig, um raus zu gehen. Doch dann überkommt mich wie aus dem Nichts die Übelkeit, das Herzrasen – die Angst. Und diese hält dann erstmal an. Manchmal bin ich dennoch in der Lage vor die Tür zu gehen, oftmals jedoch nicht.

Angst findet also nicht nur im Kopf statt, sondern bringt eine Reihe körperliche Symptome mit, wie z.B.: Herzrasen, Schwindel, Übelkeit, Bauchschmerzen, schlotternde Knie, kalte Füße und Hände, Atemnot, Zittern und Schweißausbrüche.

Bei manchen Betroffenen sind diese physiologischen Symptome von Angst und Panik so stark ausgeprägt, dass diese einem Herzinfarkt gleichen und ein Notarzt gerufen werden muss.

3. Ich bin nicht faul oder anti-sozial – ich habe Angst

Du warst den ganzen Tag arbeiten, freust Dich auf ein entspanntes Abendessen und dem Kino-Abend mit Freunden. Doch zu Hause erwartet Dich anstatt etwas lecker gekochtes, nur kalte Küche. Ich war weder einkaufen noch habe ich den Müll runtergebracht. Obendrein möchte ich Dich nicht ins Kino begleiten, sondern zu Hause bleiben und auf der Couch versacken.

Ja, es sieht so aus, als hätte ich den ganzen Tag lang nichts gemacht hätte, doch emotional war ich so stark beschäftigt, dass ich körperlich total erschöpft bin.

Ich war den ganzen Tag in unserer Wohnung – in meinem sicheren Ort – doch hatte die ganze Zeit Angst. Nahezu permanent war mir schlecht, schwindelig, mein Herz raste und ich kämpfte gegen meine Tränen. Denn natürlich bin ich sauer auf mich.

Aufgrund meiner Angst konnte ich nicht einkaufen gehen. Infolge meiner Angst kann ich heute nicht mit in ein Kino voller Menschen. Ich weiß, dass ich da nicht alleine wäre – Du bist an meiner Seite, was ich sehr zu schätzen weiß. Doch es ist halt wie Kopfschmerzen – ein anderer kann Verständnis aufbringen und mir Tee kochen … doch durch den Schmerz muss ich in mir alleine hindurch … Und heute ist ein Tag, wo die Angst so groß ist, dass ich mich ihr nicht stellen kann.

Dies hat jedoch nichts mit Faulheit zu tun oder damit, dass ich mit Dir oder unseren Freunden nichts mehr unternehmen möchte. Das Gegenteil ist der Fall – doch heute bzw. zur Zeit kann ich „einfach“ nicht. Halte mich nicht für asozial – ich bin krank.

4. Sag mir nicht, ich solle mich beruhigen oder ich bräuchte keine Angst zu haben

Ich weiß das. Ich weiß, dass ich im Kino, im Restaurant oder im Bus keine Angst zu haben brauche. Und doch ist sie da. Sicher, es ist lieb von Dir gemeint, doch wenn Du mir sagst, dass ich mich beruhigen soll, setzt mich das eher noch mehr unter Druck. Und diesen mache ich mir schon selbst, denn ich sage mir in Gedanken so oft, dass ich mich jetzt endlich mal beruhigen muss. Doch dies führt zu mehr Stress.

Wenn Du mir sagst, dass ich keine Angst zu haben bräuchte, fühle ich mich nicht ernst genommen. Zumal ich ja weiß, dass ich gerade keine Angst zu haben brauch. Ich weiß, dass es albern ist. Und so ist es mir zwar furchtbar peinlich, doch ich kann es nicht „einfach“ so ändern. Ich weiß nicht, wie ich mich „einfach“ beruhigen kann. Ich weiß nur, dass Druck und Aufforderungen eher das Gegenteil bewirken.

5. Wie Du mir etwas helfen könntest

Anstatt mir zu sagen, was ich fühlen, tun oder lassen soll, wäre es schön, wenn Du etwas Verständnis zeigst. Du brauchst gar nicht viel reden, oftmals reicht es schon, Deine Hand im Rücken zu spüren oder dass Du einfach meine Hand hältst.

Wenn wir inmitten einer Menschenmasse sind und ich mit einer Panikattacke kämpfe, bringe mich raus und schotte mich von den Blicken fremder Menschen ab.

Wenn ich alleine sein möchte, dann respektiere meinen Wunsch und lass mich auch alleine. Doch bitte bleib in der Nähe und warte auf mich.

Ich werde Dir zigmal sagen, dass es mir leid tut, dass es mir peinlich ist. Vermutlich werde ich Rotz und Wasser heulen und mich in Grund und Boden schämen. So lange Du es wirklich ernst meinst, ist mir mit einem „Es ist alles okay. Ich mag Dich so wie Du bist.“ schon etwas geholfen.

Wenn ich in meiner Angst und Panik etwas orientierungslos oder verwirrt bin, mach mit mir eine Atemübung oder eine Achtsamkeitsübung. Sicherlich wird mir (und vielleicht auch Dir) dass in dem Moment sehr peinlich sein, vor allem, wenn wir nicht alleine sind – doch so etwas kleines könnte schon zu einer Beruhigung beitragen.

Vielleicht findest Du in meiner Tasche auch einen Igelball, scharfe Bonbons oder Riechstäbchen. All diese kleinen Dinge könnten mir in einer Angstsituation helfen, bei mir zu bleiben.

Wenn wir sehr vertraut sind, ist es oftmals hilfreich, dass Du mich einfach in den Arm nimmst und festhältst. Doch bitte respektiere, wenn ich körperliche Nähe gerade nicht ertragen kann.

Vermutlich werde ich oft nicht wissen, was ich gerade will oder wohin ich möchte. Anstatt zig Vorschläge zu machen, lass uns einfach einen Moment auf der Strasse (…) sitzen und verweilen. So besteht die Chance, dass ich mich etwas beruhige.

Und sei Dir sicher – ich weiß, dass es gerade alles andere als einfach für Dich ist. Ich fühle mich Dir gegenüber als Belastung und sage das oft. Sei mir deshalb bitte nicht sauer, sondern lass uns in einem stabilen Moment, in einem sicheren Ort zusammen reden, wie wir das nächste Mal in so einer Situation miteinander umgehen. 

TROTZ ALLEM

Angst hat nichts mit Schwäche zu tun. Wir mögen schwach erscheinen und vor allem Männer schämen sich wegen einer Angsterkrankung sehr – doch wie es der Name sagt, es ist eine Erkrankung. Und mit dieser zurechtzukommen, mit dieser zu leben, bedarf es sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen.

Ihr Ängstler, die ihr Euch jeden Tag diesem Leben stellt – ihr seid stark. Vergesst das nicht!

Und bedenkt, dass Euch mit einer Therapie geholfen werden kann – wie gut oder auch nicht, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Doch Angststörungen sind – ähnlich wie Depressionen – behandelbar. Wir brauchen dafür sehr viel Kraft und Geduld – und diese wünsche ich Euch von Herzen!

Ich selbst bin seit ca. sieben Monaten zwei drei Jahren Panikfrei – hätte ich „damals“ (Winter 2016/2017) auch nicht gedacht … ein Beweis, die Hoffnung nicht aufzugeben – ich wünsche Dir ganz viel Kraft dafür!

Bildquelle: pixabay

Und nun?

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Mitgliedschaften & Kooperationen

Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention ist seit 1972 die übergreifende Fachgesellschaft für Einrichtungen und Personen, die sich in Forschung, Lehre oder Praxis mit Suizidprävention befassen.

Die Deutsche Depressionsliga ist eine bundesweit aktive Patient:innen-vertretung. Sie ist eine reine Betroffenenorganisation, deren Mitglieder entweder selbst erkrankt sind oder aber sie sind Angehörige von Betroffenen.

Die Gründer:innen von Freunde fürs Leben sowie viele der (ehrenamtlich) Beteiligten haben selbst geliebte Menschen durch Suizid verloren. Ich selbst kenne Suizidgedanken von mir früher als auch Menschen, die dadurch verstorben sind.

Die Seminare von Seelische Erste Hilfe Leisten befähigen Menschen dazu, selbstbewusster, informierter und empathischer mit seelisch belasteten Personen umzugehen. Unser Ziel ist, dass analog zu körperlichen Erste-Hilfe-Kursen auch seelische Erste-Hilfe-Kurse fester Bestandteil einer Aus- oder Weiterbildung sind.

Gemeinsam gegen Depression ist eine Aufklärungskampagne von Janssen. Unterstützer:innen der Initiative und die Teilnehmenden des Aufrufs „Zeig Gesicht“ berichten über ihre ganz persönlichen Geschichten und teilen ihre Erfahrungen mit Depressionen.

Die Folgen von Stigmatisierung und Diskriminierung sind für Betroffene und Angehörige allgegenwärtig. Mutmachleute bewirken ein Umdenken in der Gesellschaft, denn psychisch kranke Menschen haben keine Lobby! Wir geben ihnen eine Stimme, damit sie heraustreten können aus ihrem Schattendasein.

Erfahrungen & Bewertungen zu Nora Fieling

9 Kommentare zu „5 Dinge, die Du über Angststörungen wissen sollst“

  1. Ich habe mir jetzt einen Zahnarzt für Angstpatienten gesucht. Ich habe schon zu oft gehört, dass ich ja keine Angst haben müsste oder mich nur beruhigen bräuchte. Das hilft dabei einfach nicht weiter.

  2. Ich denke auch, man sollte sich für die Angst nicht schämen. Ich gehe immer zu einem Zahnarzt für Angstpatienten, denn hier wird meine Angst verstanden und wahrgenommen. Dann kann man trotz Angst auch behandelt werden.

  3. Ich weiß nicht warum, aber meine Tochter hat große Angst vor dem Zahnarzt. Woher das kommt, kann ich nicht wirklich sagen. Eine Behandlung für Angstpatient wäre wirklich toll, da es Zahnärzte gibt, die wirklich da helfen und geschult sind. Danke!

  4. Mein Bruder hat in seiner Jugend Angststörungen gehabt, die ihn sehr belastet haben. Das Herzrasen war manchmal so stark, dass wir uns überlegt haben, den Arzt für Kardiologie zu besuchen, um Medikamente zu finden. Heutzutage geht er zusätzlich noch zur Therapie, um die Symptome zu behandeln!

  5. Unsere Tochter hat schon etwas länger Angststörungen. Seit ein paar Wochen sind diese so schlimm, dass sie nicht mehr aus ihrem Zimmer kommt. Wir suchen eine psychologische Beratung, damit es ihr schnell besser geht. Vielen Dank!

  6. Vielen Dank für diesen Beitrag zu Angststörungen. Interessant, dass die Angst dabei nicht nur im Kopf passiert, sondern auch körperliche Symptome vorhanden sind. Ich vermute, meine Tochter leidet an einer Angststörung und ich werde mich bemühen, Hilfe für sie zu finden.

  7. Sehr schön geschrieben. Wie oft habe ich mir damals selbst innerlich zugerufen: „Mensch, jetzt reiß dich mal zusammen.“ Ich habe mich vor mir selbst geschämt (also auch dann, wenn niemand etwas von meiner Angst bemerkt hat).
    Erst viel später – nachdem ich die Angststörung überwunden hatte – konnte ich offen damit umgehen. Heute weiß ich, dass es Stärke erfordert, (vermeintliche) Schwächen einzugestehen. Also seid stark! 🙂

  8. Genauso wie du es beschreibst, ist es! Diese Angst, jemand könnte bemerken, wie schlecht es einem geht und diese Scham und dass es einem peinlich ist

  9. Ich kann alle Punkte unterschreiben – wunderbar zusammengetragen! Auch die Ratschläge an Angehörige sind Gold. Ich bin so unheimlich froh, dass mein Freund scheinbar automatisch alles genau so und richtig gemacht hat…

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