Dissoziative Identitätsstörung (DIS) – Vielfalt in einer Person

Vor mehreren Monaten kam ich über eine Selbsthilfegruppe auf Facebook mit Ala in Kontakt. Sie ist seit vielen Jahren u.a. mit einer Dissoziativen Identitätsstörung (DIS) konfrontiert. Nun, dass dies auch Multiple Persönlichkeitsstörung genannt wird und nichts mit Schizophrenie zu tun hat, wusste ich, aber da hörte es dann auch schon auf. So freue ich mich sehr, dass Ala sich bereit erklärte, für meinen Blog einen Gastbeitrag über sich, ihre WG im Kopf und ihr Leben zu schreiben. Dadurch erhalten wir einen Einblick was es bedeutet, die Vielfalt in einer Person zu sein.

Multiple Persönlichkeitsstörung bzw. dissoziative Identitätsstörung (DIS) – die Vielfalt in einer Person

Hallo, ich bin Ala, 25 Jahre alt und ich möchte etwas aus dem Leben eines multiplen Menschen erzählen. Die Erkrankung heißt Dissoziative Identitätsstörung (DIS). Früher sagte man dazu auch Multiple Persönlichkeitsstörung (MPS). Aber im ICD-10 wurde es dann DIS genannt.

Einmal vorweg: Ich schreibe zwischendurch in der „wir“ Form. Das erleichtert mir/uns das schreiben.

Oft hören wir fragen wie: „Bist du schizophren?“ „Gibt es dagegen Tabletten?“ „Woher weißt du, dass du viele bist?“

Ich fange am besten erst mal am Anfang an. Ich bin die Ausweisperson. Also die Person, die auf unserem Personalausweis steht. Manche Betroffenen sagen auch Körperperson. In der Wissenschaft werden wir allerdings Host genannt. Die Innenpersonen werden oft Körperbewohner oder „Innis“ genannt. Auch hier hat die Wissenschaft wieder ihren eigenen Namen: States. Bisher habe ich keine Betroffenen kennen gelernt, die sich als Host oder States bezeichnen.

Bei uns bin ich die Ausweisperson, und die anderen sind die Innis. Wobei es auch eine Person hier gibt, die mich immer „Körpernator“ nennt… 🙁

Eine DIS ist keine Schizophrenie, wie viele glauben. Denn wir haben keine Halluzinationen, Wahn und keine formale Denkstörung. Während Menschen mit einer Schizophrenie Menschen, Tiere und Geräusche wirklich sehen, hören und glauben, sie seien real, ist es bei mir ganz anders.

Ich nehme auch Innis wahr. Aber ich höre sie nicht akustisch von außen, sondern höre sie innen im Kopf.

Manchmal ist es sehr anstrengend Gesprächen im Außen von anderen Menschen mitzubekommen, während innen auch noch andere dazwischen reden. Manchmal ist es zugegeben aber auch sehr witzig.

Vielleicht kannst du es Dir besser vorstellen, wenn ich es anhand einer Schulklasse erkläre.

Eine Klasse von 30 Leuten sitzt als Stuhlkreis um Dich herum. Du bist in der Mitte im Zentrum. Und dann gibt es ja noch die Lehrerin. Sie möchte, dass du eine einfach Matheaufgabe löst. „3+1=4! Weiß doch jeder“, ruft einer aus dem Stuhlkreis rein. Ein anderer: „Ich kann das aber nicht!“ und wieder andere unterhalten sich: „Ein Audi ist viel schöner, als so ein BMW.“ „Nein! Ein BMW kannst du besser aufmotzen.“

Einerseits konnte ich mich nie auf die noch so einfachsten Aufgaben in der Schule konzentrieren, weil es so viele dazwischen Redner/innen gab, andererseits konnte ich dafür eine kreative Ader entwickeln. Durch die vielen ganz unterschiedlichen Wahrnehmungen im System fiel es mir oft leicht, viele Aspekte in einem Kunstwerk dar zustellen.

Ob In der Musik, Sprache/Lyrik oder in der Zeichenkunst. Aber so in etwa kannst du Dir das vorstellen. Wie wir innen untergebracht sind, dazu komme ich aber noch.

„Hat jeder von euch denn anderes Können und andere Interessen“, wurde ich mal gefragt.

Ganz klar! Ja. Manche mögen die Farbe pink, andere blau, manche lesen Unmengen an Büchern, anderer sitzen lieber vor einer Konsole. Ich kann gar nicht alle Aspekte aufzählen, selbst wenn ich mich bemühen würde. Dafür sind wir einfach – wie ich gerne sage – zu VIELseitig.

Wenn ich in einem Bewerbungsgespräch sagen sollte, was ich gut kann, sagte ich auch immer, dass ich sehr vielseitig bin. Ich nannte dann immer unserer Stärken, die im Beruf bedeutsam sind.

Damit komme ich zum nächsten Thema. Ich kann arbeiten gehen.

Aber solange hier noch nicht alle zusammen arbeiten, fällt es mir schwer beständig zu sein. Sowohl in meinem Tun, als auch in unserer Persönlichkeit. Ich kenne anderer „Multis“, die es sehr gut schaffen zu arbeiten. Ich kenne aber auch das Gegenteil. Ich glaube, es kommt auch oft auf den Job an, wie viele man ist und wie hoch die Alltagsanforderungen im Privatbereich sind.

Wenn ich für mich/uns spreche: Wir wissen noch nicht, was wir wirklich machen wollen. Da kommen wieder die ganz unterschiedlichen Interessen ins Spiel.

Wie soll ich so vieler Anteile Herr werden?

Als ich die Diagnose bekam, war ich einerseits erleichtert, weil ich wusste, was los ist mit mir. Aber es hat mich auch sehr entsetzt. Wie soll ich so vieler Anteile Herr werden? Wie soll ich leben? Muss ich jetzt Rücksicht auf alle nehmen? Geht das überhaupt?

Ich lebe größtenteils so weiter wie bisher. Aber ich nehme auf viel mehr Trigger Rücksicht und auf Themenbereichen, mit denen ich mich beschäftige. Schließlich versuche ich als Ausweisperson den Tag zu meistern.

Aber da unsere Kommunikation noch sehr zu wünschen übrig lässt, wechseln wir trotzdem viel hin und her. Meistens fehlt mir dann genau die Zeitspanne, in der ein Anteil dann „vorne“ war. Also in der Zeit in der er/sie den Körper gesteuert hat.

Psychologen sagen dazu „switchen“. Dies passiert, wenn etwas getriggert hat. Eine Farbe kann zum Beispiel wen nach vorne holen, ein Geräusch den nächsten und so weiter.

Manchmal erwische ich mich auch dabei, wie ich versuche mit den anderen zu sprechen. Von Außen sieht das aus, wie ein Selbstgespräch. Tatsächlich rede ich mit den Anteilen … Nicht immer bekomme ich eine Antwort. Manche Anteile sind sehr leise und weit weg, andere laut und stark im Vordergrund.

Hin und wieder kommt auch extrem triggernde Musik. Ich vermute mal von einem „dunklen“ Anteil.

Dunkle Anteile sind Täterloyale – also diejenigen, die wie ein Täter denken und agieren.

Auch sie sind einst entstanden, um den Körper zu schützen. Ich denke immer, dass die Täterloyalen einst vom Täter benutzt wurden, um schlimme Dinge zu tun, die nicht mit dem Gewissen des Kindes vereinbar sind. Aber tatsächlich weiß ich das noch nicht – nur mein Gedanke.

Ich weiß auch nicht, woher alle ihr Alter wissen. Anteile altern auch nicht chronologisch wie Außenpersonen. Ein Innenkind kann 10 Jahre lang 8 bleiben und schwupps – ist sie 32 Jahre alt.

Ich habe mal gelesen, dass dies mit voran schreitender Therapie passiert. Allerdings kenne ich auch eine Person, wo dies auch ohne regelmäßige Therapie passiert. Ich glaube – das hängt mit der Lebenserfahrung und Verarbeitung des Traumas zusammen.

So unterschiedlich wie wir im Körper sind, haben wir auch teilweise eigene Krankheitsaspekte. Ich zum Beispiel habe eine Milchunverträglichkeit entwickelt. Andere können Milchprodukte aber essen. Dafür hat aber der gemeinsame Körper einige Erkrankungen, wie eine Neurodermitis. Auch auf Medikamente reagieren wir vollkommen unterschiedlich. Meist wirken Medikamente aber gar nicht. Weder Psychopharmaka – noch Antibiotika und andere. So ist das aber bei jedem Betroffenen verschieden.

Aber woher weiß ich, wie viele ich eigentlich bin?

Tatsächlich kann ich dazu noch gar keine genauen Angaben machen. Woher ich die Anteile bisher kenne, ist vom Schreiben mit ihnen, von Erzählungen dritter und von Dokumenten aus meinen Kindertagen – ob gemalte Bilder oder Gedichte, Schulsachen oder anderes.

Im Alltagsteam, also diejenigen, die hauptsächlich den Alltag managen, sind wir inklusive mir 7 Personen. Bisher weiß ich aber von insgesamt 21 Personen im Körper, Tendenz ist noch leicht steigend.

Ich war irgendwie schon immer viele – denke ich. Aber ich dachte früher immer, dass sei normal und es gehe jedem Menschen so wie mir. Manchmal dachte ich auch, ich bin verrückt und wenn das jemand mitbekommt, würde ich weg gesperrt.

Deshalb habe ich, bis wir 2015 zum ersten Mal in der Klinik waren, kaum jemanden davon erzählt. Gemerkt haben es aber doch einige: Mein bester Freund hat es in der Jugend besonders gemerkt. Auch mein damaliger Partner sagte, ich sei wie völlig unterschiedliche Personen. Meine Mutter dachte immer, ich sei einfach ein Kind mir ADHS.

Mittlerweile wissen meine Freunde und Familie aber Bescheid. Meine Mutter kann damit wenig umgehen – mein Vater gar nicht. Mein bester Freund versucht uns so gut es geht zu helfen, zu unterstützen und unsere beste Freundin erzählt mir auch oft nochmal wichtige Dinge. In der weiteren Familie wissen alle, dass ich psychisch krank bin, aber nicht jeder weiß, was ich habe. Ähnlich auch andere Freunde von mir.

Bei Männern fällt es den Innis am schwersten, sich zu öffnen und Vertrauen zu fassen. Mir selbst fällt es auch bei Zeiten immer noch schwer das anzunehmen oder begreifen zu können.

Ich flüchte dann in Aussagen, wie: „Ich bin nicht viele! Das kann ich nicht sein. Meine Kindheit war doch nicht so schlimm!?“

Aber ich glaube, dass möchte ich eigentlich sein. Ich kann noch nicht akzeptieren viele zu sein und sehe mein bisheriges Leben als flauschig an …

Es ist schwer, einen Therapieplatz zu finden

Eine Therapie kann sehr schwierig sein. Sowohl für die Therapeuten, als auch für den Betroffenen selbst. Sehr viele Therapeuten möchte Multiple Menschen nicht behandeln,da sie befürchten, sie könnten vieles schlimmer machen und die Person so zu retraumatisieren, dass sich noch mehr Anteile abspalten.

Deswegen ist es so schwer, einen Therapieplatz zu finden. Meist bleibt nur eine stationäre Intervall-Therapie übrig. Ich versuche es nun über eine ambulante Traumatherapie.

Nun beende ich meinen gewaltigen Text aber. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel darüber schreiben kann.

Liebe Grüße, 
– Ala

Wenn Du mehr aus dem Leben von Ala und ihren inneren Mitbewohnern erfahren magst, dann besuche sie einfach auf ihrer Facebook-Seite: Ala bloggt – Vom Überleben zurück ins Leben

Bildquelle: pixabay

Und nun?

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Erfahrungen & Bewertungen zu Nora Fieling

5 Kommentare zu „Dissoziative Identitätsstörung (DIS) – Vielfalt in einer Person“

  1. Danke für diesen Gastbeitrag. Du schreibst sehr offen und ich denke, würden mehr Menschen in deiner Lage so offen über ihre Dissoziative Identitätsstörung sprechen können, würde es auch den vermeintlich „normalen“ Menschen leichter fallen, Persönlichkeiten wie dich zu verstehen. Ich musste beim Lesen deines Beitrags gleich an „Ich und die anderen“ von Matt Ruff denken. Ein wunderschönes Buch wie ich finde, das zwar auf eine unterhaltsame, aber eben doch auch ernste Art eine Einführung in das Thema darstellen kann.

    1. Hallo Martin,

      da es ein Gastbeitrag ist, ist der Text nicht von mir – ich weiß nicht, ob da jetzt ein Missverständnis vorliegt?

      Letzten Endes sehe ich es jedoch wie Du. Vielen Dank auch für den Buchtipp!

  2. Hallo, vielen vielen Dank für diesen Bericht! Die Offenheit! Das Spannende ist, dass ich genau dasselbe zu ‚gesunden‘ Menschen in meinem Buch zum Thema Konflikte schreibe. Es gibt sogar den einen Kinofilm ‚Alles steht Kopf‘. ALLE haben die Herausforderung auf die passende innere Stimme zu hören statt auf das Geschnatter der der anderen Stimmen (Angst, Begehren uvm.). Viele Mächtige hören auf ungünstige Stimmen und treffen ungünstige Entscheidungen. Setzen Macht ein. Das Gewissen wird überhört.
    Es tut mir leid, dass es Dir nicht gut geht und gleichzeitig ist diese klare Beschreibung eine Hilfe für die Gesellschaft!

    1. Hallo Claudia,

      vielen Dank für Deine Zeilen. Nur um Missverständnisse zu vermeiden – der Beitrag ist ein Gastbeitrag und somit nicht von mir.

      Der Film „Alles steht Kopf“ ist wirklich sehr empfehlenswert!

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