„Depression? – Ach, da musst Du einfach mal nur wegfahren. Bissel Urlaub machen, die Seele baumeln lassen, Dir was Gutes tun. Dann wird das wieder!“ – So viele Menschen, die an Depressionen leiden, bekommen das zu hören. Aber hilft Urlaub wirklich bei einer Depression? Und wenn nein, warum nicht?
Urlaub? – Da muss es Dir mit der Depression doch besser gehen …
Sommer 2015: Ich war lange am Mittelmeer im Urlaub. Sonne, Meer, leckeres Essen, landestypische Live-Musik, Sightseeing-Touren und Faulenzer-Tage am Strand.
Eigentlich war es so, wie man sich einen Urlaub vorstellt. Eigentlich.
Urlaub – da möchte man sich ausruhen, entspannen, die Probleme in den Keller zu Hause verbannen, vom Alltag abschalten und die Seele baumeln lassen. Man möchte die Sommerluft genießen, die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut spüren und dem Meeresrauschen lauschen.
So stell ich mir zumindest einen relaxten Urlaubstag am Strand vor. Doch dass, von was ich Urlaub bräuchte ist nicht machbar. Ich hätte gerne ne Auszeit von meinem Kopf, meinen Gefühlen. Ich hätte gerne mal Urlaub von mir!
Egal ob physisch oder psychisch – Deine Schmerzen begleiten Dich, wohin Du auch gehst
Wenn man an Menschen mit Schmerzen, wie z. B. Migräne, denkt, dann kann man sich vorstellen, dass diese auch im Urlaub unter ihrer Krankheit leiden. Es ist relativ einfach zu verstehen, dass es ihnen nicht jederzeit gut geht, nur weil sie gerade im Urlaub sind. Da kommt ungeahnt eine Schmerzattacke, die sie aushalten müssen ohne zu wissen, was der Auslöser war.
Mit psychischen Krankheiten ist es halt genauso. Unverhofft wie eine Lawine können einen Gedanken und Gefühle überfallen, die einen in Starre versetzen. Die alles um einen herum ausblenden und ihre ganze Aufmerksamkeit fordern. Und man selbst ist machtlos und ausgeliefert. Kaum ist ein Gedanke vorbei, kommt der nächste. Und das Grübeln und Chaos im Kopf beginnt von vorne. So ging es mir sehr lange.
Aber das möchte man natürlich nicht. Schließlich ist man im Urlaub, also schiebste das weg, versuchst nicht darüber nachzudenken, gehst schlafen, weil morgen möchteste ja weiter die Gegend erkunden.
Das Wegschieben oder Verdrängen klappte bei mir auch mehr oder weniger ganz gut. Was wiederum nicht gut ist. All das, was ich verdrängte, rumorte immer noch unbewusst in mir weiter, ob ich es nun wollte oder nicht. Und irgendwann ist war ich voll von vielen kleinen verdrängten Gedanken und Gefühlen. Wie eine Luftmatratze, die immer mehr Luft in sich aufnimmt, obwohl sie schon voll ist …
Es ist, wie wenn man einen kleinen Stein im Schuh hat. Einer allein, gut, der ist unangenehm jedoch verkraftbar. Es ist ja nur ein kleiner Stein, das hält man aus. Ein zweiter Stein dazu nervt schon ein bisschen mehr, aber man möchte ja auch nicht übertreiben. So schlimm ist es nun auch nicht. Kommt ein dritter Stein im Schuh hinzu, dann spürt man schon ziemlich deutlich den Schmerz, an den man durch jeden Schritt erinnert wird. Doch man kann ja noch laufen, sind doch nur drei kleine Steinchen.
Irgendwann beim vierten, fünften, sechsten Stein kannst Du nicht mehr einfach damit gehen. Es sind alles nur kleine Kieselsteine und jeder einzelne schmerzt, doch alle zusammen in einem Schuh sind nahezu unerträglich. Ein einfaches, lockeres Weitergehen ist kaum möglich. Es ist vielleicht noch nicht so schmerzhaft, dass die Steine einen lähmen, doch die Schmerzen sind permanent da.
Und dennoch …
Irgendwann waren wir wieder zu Hause angelangt. Zuhause, dem Ort, an dem es okay ist, dass es mir nicht gut geht. Damit geht es mir besser. Als wenn es mir hier zu Hause schlecht gehen darf, im Urlaub aber nicht.
Und dennoch, trotz aller Anstrengungen oder auch Herausforderungen – es war ein total schöner Urlaub mit meinem Freund, für welchen ich sehr dankbar bin. Wir haben viel gesehen, erlebt und gelacht. Wir haben interessante Orte kennengelernt, hatten nette Begegnungen mit anderen Menschen und genossen die kulinarischen Feinheiten als auch deren landestypische Musik.
Hätte ich die Wahl, so würde ich diesen Urlaub noch einmal mit ihm erleben wollen.
Nur beim nächsten Mal würde ich versuchen, soweit es geht, mich gleich um den ersten Stein im Schuh zu kümmern, damit sich nicht wieder ein kleiner Berg ansammelt.
Vielleicht muss ich für mich auch erstmal akzeptieren lernen, dass Urlaub nicht gleichzeitig bedeutet, dass es mir automatisch super geht … – so dachte ich also im Sommer 2015. Ein Jahr später waren wir erneut im Urlaub:
Von schönen Dingen überfordert – Depression im Urlaub
2016: „Urlaub ist toll – egal, wie lange er ist!“ … „Urlaub kann gar nicht lange genug sein!“ … „Im Urlaub geht es einem immer gut!“ – Sätze, die mir innerhalb der letzten Tage entgegen gebracht worden sind. Sätze, denen ich nicht zustimmen kann. Sätze, die mir zeigen, dass ich nicht so bin wie die meisten.
Sich von schönen Dingen überfordert fühlen – dass schaffen wohl auch nur Menschen mit Depressionen
Was irgendwie witzig klingt, ist schmerzhaft überwältigend zugleich. Wir waren jetzt selbst ein paar Tage unterwegs und von Sonnenschein, ausgesprochen lieben Menschen, Bergen und viel Natur umgeben. Wir haben so viel schönes gesehen, haben tolle Gespräche geführt und haben einige Tiere zum Anfassen nah kennengelernt, was mich besonders freute – genaugenommen 2 Hunde, 3 Ziegen und 5 Schafe.
Nach 3 Tagen saß ich meinem Freund mit Tränen in den Augen gegenüber und gestand ihm, dass mich das alles stresst. Dass ich unter immenser Anspannung stehe, mir schlecht und häufiger schwindelig ist und ich mich mit allem und jedem überfordert fühle. Nach einigem hin und her meinerseits beschlossen wir bzw. ich, den Urlaub zu verkürzen – weil ich mit den schönen Dingen um mich herum nicht klar komme. Klingt ironisch, ist jedoch die traurige Wahrheit.
Das man mit starken Depressionen bzw. in einer akuten Krise nicht in den Urlaub fahren soll, wusste ich. In akuten Depressionen konnte ich die schönen Dinge gar nicht genießen, zumal ich oftmals gar nichts fühlte. Dass die viele freie Zeit und der Druck, sich doch jetzt freuen zu „müssen“ überfordert, klingt erstmal logisch.
Ich hatte doch bei meinem letzten Urlaub gelernt, dass es mir im Urlaub nicht automatisch gut geht, wenn es mir vorher schlecht ging … Doch ich war ja nicht in einer akuten Krise, erst recht nicht suizidal – also hätte doch auch alles gut werden können!?
Egal wie weit weg man fährt – vor sich selbst kann man nicht fliehen
Die Vorbereitung lief schon suboptimal – Donnerstagnachmittag zwischen Tasche packen und Wohnung aufräumen hatte ich noch eben eine Therapiesitzung, danach weiter Tasche packen, Tiere versorgen bzw. zur Urlaubsbetreuung fahren und dann ging es nach nur 4 Stunden Schlaf am Freitag früh um 6 Uhr los. Normalerweise kann ich ganz gut im Auto schlafen, diesmal jedoch kreiste das Therapiegespräch in meinem Kopf herum, welches ich für mich noch nicht schriftlich in meinem Therapie-Tagebuch loslassen konnte.
Während der 8-stündigen Autofahrt hatte ich also genug Zeit, um über die Beziehung zu meinen Eltern und den daraus resultierenden Konflikten nachzudenken. Ich malte mir Szenarien aus, wie zukünftige Begegnungen verlaufen könnten und fragte mich permanent, wie ich aus diesem schwierigen Gefüge herauskommen könnte. Hinzu kam, dass ich mir über alles mögliche Sorgen machte – ob auf der Autobahn alles gut geht, was passiert, wenn vor uns ein Auto einen Unfall hat, was ist, wenn meinem Freund während der Fahrt was passiert, was und wo der nächste Terror-Anschlag sein wird, ob es unseren Tieren gut gehen wird, was ist, wenn es bei uns im Haus bzw. in unserer Wohnung brennt während wir weg sind, wie es den Menschen geht, die ich mag, wie es beruflich mit mir weitergeht, mit welchem Todesfall ich als nächstes konfrontiert werde … Gedanken und Fragen teilweise ohne jeglichen Bezug zur Realität nahmen einen riesigen Raum in mir ein.
Irgendwann waren wir an unserem Ziel angekommen, schauten uns die Gegend an, lernten die Stadt kennen, unterhielten uns mit unseren Gastgeber:innen bzw. unternahmen was mit diesen – während in meinem Kopf fast die ganze Zeit meine Sorgen und Gedanken wie Hintergrundmusik vor sich hin dudelten …
Ich war schon voll und wollte immer mehr aufnehmen
Mit meinen Gedanken und Sorgen war ich voll, habe es jedoch teilweise geschafft, diese zu verdrängen. Nun wollte ich die schönen Dinge noch aufnehmen. Dabei habe ich nicht bedacht, dass jedes Glas mal voll ist, egal, mit was es gefüllt ist – dem leckersten Saft oder der schlimmsten Brühe … voll ist voll!
So sehe ich das mit mir im nachhinein. Für all die schönen Dinge und Erlebnisse bin ich sehr dankbar und würde sie gerne wiederholen – muss mir jedoch auch eingestehen, dass das alles zusammen eine Reizüberflutung war, der ich nicht gewachsen war. Das zu akzeptieren fällt mir schwer, da es nur wieder zeigt, dass ich nicht sehr belastbar bin. Umso schwieriger ist es, dass es nun schöne Dinge waren, die mir zeigten, wo meine Grenzen sind.
Und so bleibt die Frage, was ich beim nächsten Mal ändern kann und vielleicht auch ändern muss
Gar nicht mehr wegzufahren, kann ja nicht unbedingt die Lösung sein, zumal ich das ja auch nicht möchte. Ich würde gerne mehr Abstand von meinen Problemen und Sorgen gewinnen, möchte sie zu Hause liegen lassen – doch dass ist wohl noch ein längerer Lernprozess. Im Urlaub waren wir oft nur zu zweit unterwegs, was ich sehr schön fand – am zweiten Abend haben wir auch mal „nichts“ gemacht und einfach nur auf dem Zimmer abgehangen und uns ausgeruht. Es gab also auch Pausen im Urlaub.
Und dennoch lief es schief. In der Konsequenz sind wir einen Tag eher nach Hause gefahren und mein Freund hat auch noch totales Verständnis für mich, meine Gefühle und die Situation – ein weiterer Punkt, der für mich unverständlich ist, für welchen ich jedoch auch sehr dankbar bin.
Zugleich fühle ich mich undankbar, habe Schuldgefühle, mache mir Selbstvorwürfe und bin von mir selbst enttäuscht. Neben wirklich schöne Erinnerungen an die vergangenen Tage, bleibt die Frage, was ich beim nächsten Mal anders machen sollte, damit ein Urlaub auch wirklich ein Urlaub wird!?
Ohne Depression, dafür mit der Angststörung im Urlaub
Meine Depression ist still. Bis auf einen kurzen, aber intensivem Zusammenbruch im Herbst 2021, hatte ich keine depressive Krise mehr. Einige Jahre waren wir nicht im Urlaub, was jedoch nicht an meiner psychischen Erkrankung liegt, sondern an den Umständen, die das Leben so mit sich bringt – Job, Finanzen, andere Gesundheitsprobleme.
Letztes Jahr, 2023, waren wir für 10 Tage in Italien. Ohne Depression. Dafür ich, vor allem im Vorfeld, mit meiner Angststörung. Seit Anfang 2017 habe ich keine Panikattacken mehr, aber dennoch mit der Angststörung zu kämpfen. Die zuvor beschriebenen Katastrophengedanken, einen Kontrolltick, bevor ich die Wohnung verlasse und die Angst, das in meiner Abwesenheit unseren Frettchen etwas passiert, nimmt noch sehr viel Raum in meinem Kopf, Herzen und Leben ein.
Allein im Alltag ist es oft schon eine Herausforderung, die Wohnung zu verlassen. Ich muss Minimum 10 Minuten mehr einplanen, weil ich alles nochmal kontrolliere, was gefährlich werden könnte. Seien es die Fenster, die Türen oder der Herd, selbst wenn dieser seit drei Tagen gar nicht benutzt wurde.
Für eine Stunde aus der Wohnung zu sein ist das eine, für einen ganzen Tag das andere. Für mehrere Tage und Nächte – für mich pure mehr Anstrengung als Entspannung. Auch wenn es ein Urlaub ist. Im Vorfeld machte ich mir eine Liste, was ich alles kontrollieren muss-möchte und am Abreisetag sind mein Partner und ich die durchgegangen, ich hakte alles ab und wir fuhren los.
Es klingt so einfach, oder? – Für mich war das mit enorm viel Herzklopfen, Übelkeit und vielen Tränen verbunden. Das Abschließen der Wohnung, unsere Kleinen dort zurücklassen, war mit so viel Angst verbunden, die mich da emotional total überrannt hat.
Und doch war es richtig und für mich wichtig, zu gehen. Die Angststörung ist mein inneres Gefängnis und wenn ich dieser immer nachgebe, dann werde ich nie ausbrechen können. Das wir letztes Jahr weggefahren sind, war ein ziemlich großer Schritt für mich, den ich auch mit meiner (jetzt ehemaligen) Therapeutin vorbereitet habe.
Im Nachhinein war und lief alles gut, wir hatten eine super tolle Zeit und standen in engem Austausch mit unserer Frettchenbetreuung. Es ging uns gut im Urlaub. Auch mir. Zwischendurch hatte ich Anflüge von Angst und kümmerte mich um mich: Mit Realitätschecks, mit Innerer-Kind-Arbeit (von diesem rühren die Ängste bei mir her), mit Inneren Helferlein und dem drüber sprechen.
Ob wir dieses Jahr ein paar Tage wegfahren, weiß ich noch nicht. Auch wenn es mir mental in den letzten Wochen nicht so gut ging – wobei ich hier nicht von einer erneuten depressiven Krise spreche – würde ich gerne mal raus. Sonne, Meer und raus aus der Stadt. Meine Angststörung sagt „Nein“. Unsere Umstände aktuell tendieren zu einem „vielleicht“.
Auf jeden Fall wird es Ende November für mich woanders hingehen – ganze fünf Wochen bin ich in einem anderen Bundesland zur Reha. Ich weiß, dass es mir gut tun wird. Das ich mich dort intensiv um mich kümmern kann und mich auf anderer Ebene meiner Angststörung stellen werde. Allein die Fahrt dahin wird für mich zur Exposition meiner Angststörung. Am liebsten würde ich gleich jetzt alles absagen …
Die Reha ist kein Urlaub. Während ich im Urlaub von vielen schönen Dingen abgelenkt werden kann, bin ich in den therapeutischen Einheiten während der Reha quasi die ganze Zeit mit mir konfrontiert. Mit mir, meinen Gedanken und Gefühlen.
Aber bis dahin ist auch noch etwas Zeit – um viel zu grübeln und auch, um mich darauf vorzubereiten … Next Challange accepted.
Was ich gerne schon vor meinen Therapien gewusst hätte …
Hier bekommst Du nicht nur eine Ladung Wissen, sondern auch jede Menge praktische Tipps, die Du direkt im Alltag anwenden kannst. Die Selbsthilfemethoden sind aus den Bereichen Resilienz, Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Imagination. Mit diesen Übungen weckst Du Deine inneren Ressourcen und gehst gestärkt durch den Alltag.
Mein Ziel ist es, dass Du nicht nur die fachlichen Grundlagen zur Selbstfürsorge und Selbsthilfe lernst, sondern auch herausfindest, wo Deine persönlichen Hindernisse liegen.
Der Online-Kurs hilft Dir zu verstehen, was Akzeptanz wirklich bedeutet und wie Du damit Deine Gefühle besser managen kannst. Und ab und zu gibt’s auch ein paar persönliche Einblicke von mir, um Dich noch besser zu unterstützen.