Warum ich Angst vor der Therapie habe

Der große Tag ist da: Heute beginnt offiziell meine ambulante tiefenpsychologisch fundierte Therapie. Monatelang habe ich darauf gewartet, konnte es kaum erwarten meine Baustellen anzugehen – und nun sitz ich hier und würde am liebsten absagen. Ich habe Angst!

„Ey cool, ich hätte auch gerne nen Therapeuten, mit dem ich mich einmal die Woche treffe, so mein Leben reflektiere und meine Probleme bequatsche!“

Das sagte vor kurzem ein Kumpel zu mir und ich fand seine Reaktion nahezu verletzlicher als Blicke, die Mitleid oder Unverständnis ausdrücken.

Leute, Therapie ist kein Kaffee-Kränzchen, wo ich mit der/dem Therapeut*in ein bisschen quatsche, diese*r Ei-Ei macht, ich mir am Schluss nen Lolly aussuchen darf und alles ist prima.

Therapie ist Arbeit. Arbeit an sich selbst.

Ein Besuch bei meiner Therapeutin gleicht für mich einem Zahnarztbesuch. Wurzelbehandlung. Ohne Narkose.

Das Worte „Tiefe“ hat bei der tiefenpsychologisch fundierten Therapie eine Doppelbedeutung. Zum einen schauen sich der/die Therapeut*in und der/die Patient*in unbewusste Konflikte, Gefühle und Wünsche an. Und zum anderen ist so eine Sitzung ständig eine Reise in die Vergangenheit. Einflüsse aus der Kindheit und Jugend werden in die Gegenwart geholt.

Nun höre ich oftmals, dass ich doch nicht andauernd in der Vergangenheit graben und diese doch mal ruhen lassen soll. In der tiefenpsychologisch fundierten Therapie mach ich das Gegenteil – Warum?

Es wird bei diesem Therapiekonzept davon ausgegangen, dass unbewusste psychische Vorgänge im Menschen einen Einfluss auf seine psychische Gesundheit haben. Unbearbeitete Konflikte oder verdrängte Erlebnisse führen dazu, dass es demjenigen psychisch schlecht geht.

Aufgrund dessen wird in der Vergangenheit gekramt, verdrängte Erinnerungen aus dem Keller der Seele an das Tageslicht geholt und diese bearbeitet und geklärt. Mit der Bearbeitung des unbearbeiteten Konfliktes bzw. einer traumatischen Erfahrung soll im Idealfall eine Verringerung der Beschwerden eintreten.

Nun, dass klingt alles ganz schön theoretisch, oder?

Ich muss auch gestehen, ich kann es mir noch nicht so recht vorstellen, wie man eine traumatische Erfahrung bearbeitet oder mit einem unbearbeiteten Konflikt zurecht kommt. Darüber kann ich wohl erst schreiben, wenn meine Therapie erfolgreich beendet wurde.

Doch das ist der zweite Schritt – mit den unbewussten Konflikten und Erinnerungen umzugehen. Der erste Schritt ist der, diese zu erkennen. Hierbei kann ich bereits einige Fortschritte verzeichnen, die ich im Rahmen meiner tagesklinischen Aufenthalte machen konnte. Diese hat ihren Schwerpunkt auf der Traumatherapie und verfolgt einen tiefenpsychologischen Ansatz.

Ich wusste viele Jahre nicht, warum ich depressiv und ängstlich bin. Es gab immer wieder Auslöser, die mich in eine Depression stürzten – sei es ein Besuch in meiner Heimatstadt oder die schmerzliche Erinnerung an Verstorbene. Manchmal kannte ich den Grund für meine erneute depressive Phase nicht einmal.

Doch, warum geht es mir schlechter, wenn ich in der Heimat war? Warum komme ich über den Tod meiner Oma und meines ungeborenen Kindes nicht hinweg? Die Todesfälle sind nun drei Jahre her und noch immer bin ich in meiner Trauer gefangen und gelähmt.

In der Tagesklinik wurde nachgebohrt. Fragen, die in die Tiefe gehen, wurden gestellt:

Wie war meine Kindheit und Jugend? Wie sind meine Eltern mit mir umgegangen bzw. wie war unser Verhältnis? Wie habe ich mich als Kind gefühlt? Fühlte ich mich geliebt und geborgen? Wie waren die Umstände meiner Eltern, als sie mit mir schwanger waren? Wie war mein Verhältnis zu meiner Oma? Welche Bedeutung hatte sie für mich?

Dass sind nur ein paar von vielen Fragen und einige konnte ich nicht beantworten, weil ich es erlebt habe, sondern weil es mir oft erzählt wurde. So z.B., dass meine Mutter einen schweren Konflikt mit ihrer Familie hatte als sie mit mir schwanger war, da ich ein uneheliches Kind bin.

Es ist mittlerweile bewiesen, dass auch pränatale Erlebnisse Einfluss auf die psychische Entwicklung eines Ungeborenen haben.

Die ganzen mir gestellten Fragen werde ich hier jetzt nicht beantworten, dass ist nicht Sinn und Zweck des Beitrages. Doch anhand dieser konnte ich einiges an mir selbst verstehen:

Ich weiß, dass mir ziemlich oft gesagt wurde, dass ich nicht geplant gewesen bin (im Nachsatz kam oft auch ein „wir haben Dich trotzdem“ lieb, was ich jedoch nicht annehmen konnte). Ich weiß, dass meine Oma meine emotional wichtigste Bezugsperson war. Und mir ist im Rahmen der Therapie bewusst geworden, wie weh mir die emotionale Kälte und Abwesenheit diverser damaliger Bezugspersonen tat und noch weh tut. Mehr als die physische Gewalt, die ich erlebt habe.

Dass sind nur einige Erkenntnisse, die ich im Rahmen der tiefenpsychologisch fundierten Therapie erlangt habe. Es sind Gründe für mich, mich selbst zu verstehen. Wenigstens etwas. Ich habe für mich nun einen Anhaltspunkt, einen Auslöser, warum ich ein mangelndes Selbstwertgefühl habe, selbstunsicher bin und krank.

Ich habe verstanden, dass es u.a. die Erfahrungen in meiner Kindheit sind, die bei mir zu einer Depression, zu einer Angststörung und Anteilen der Borderline Persönlichkeitsstörung geführt haben. Ich habe verstanden, dass u.a. die emotionale Vernachlässigung Ursache für meine Verlustängste sind.

Ich habe so einiges verstanden, nur umgehen kann ich damit nicht – noch nicht!

Die Erkenntnisse sind das eine und nun geht es an die Bearbeitung. Ich muss und möchte lernen, mit meinen schwierigen Erlebnissen umzugehen. Ich möchte, dass sie keinen Einfluss mehr auf mein gegenwärtiges Leben haben. Ich möchte über den Schmerz und die Verluste hinwegkommen. Ich möchte mich freier fühlen und endlich mal einen „Strich unter die Rechnung“ machen können. Ich möchte, dass es mir besser geht.

Ich möchte so vieles und habe Angst vor dem Weg der mich dahin führt. Ich habe Angst vor den verborgenen Gefühlen in mir. Angst, dass sie mich überfluten und lähmen. Angst, dass ich in mir selbst versinke und alles um mich herum schwarz wird. Angst, dass ich in eine erneute depressive Phase rutsche. Angst, dass ich das alles nicht auszuhalten glaube.

Ich habe Angst vor dem, was alles im Raum stehen wird: Verborgene Gefühle, verdrängte Erinnerungen und mit ihnen der Schmerz, die Verzweiflung, die Hilflosigkeit.

Diese Ängste sind okay, dass rede ich mir zumindest ein. Sie gehören zu mir und sie dürfen sein. Dennoch sind es Ängste – und diese sind kein schönes Gefühl, welches man genießt.

Doch ich weiß, dass ich diese Ängste in der Therapie thematisieren kann und darf. Ich versuche darauf zu vertrauen, dass meine Therapeutin mich auffängt. Und ich weiß, dass ich auch einen Partner habe, der mich verständnisvoll unterstützt.

Das macht mir wenigstens etwas Mut, ab heute jeden Nachmittag zu meiner Therapeutin zu gehen. Denn ich glaube daran, dass ich den Blick in meine Vergangenheit richten muss, um irgendwann einmal hoffnungsvoll und zuversichtlich in meine Zukunft schauen zu können.

Und so stelle ich mich meinen emotionalen Zahnschmerzen.

Ich stelle mich meiner Angst, verdrängte Erinnerungen gegenwärtig zu machen. Ich werde mich meinem Schmerz stellen. Ich werde an mir arbeiten.

Denn ich glaube daran, dass ich den Blick in meine Vergangenheit richten muss, um irgendwann einmal hoffnungsvoll und zuversichtlich in meine Zukunft schauen zu können.

Bildquelle: pixabay.de

Und nun?

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