Neulich habe ich einen Fehler gemacht, in dem ich etwas vergessen habe. Es war nichts grandios wichtiges oder etwas besonderes. Eher eine Kleinigkeit – eine Randnotiz, die ich vergessen habe, jemandem mitzuteilen.
Und doch riss dieser kleiner Fehler in mir soviel runter – unter anderem mich
Kaum dass die „Chefin“ meines neuen Ehrenamtes mich auf meinen Fehler hinwies, ging mein Kopfchaos auch schon los:
Ich kann das nicht. Ich bin nicht gut genug. Andere können das viel besser. Ich schade den anderen. Wenn das nochmal passiert, werde ich aus dem Amt entlassen. Das Amt ist eine potenziell berufliche Richtung für mich – die kann ich mir nun abschminken. Ich darf nicht auf andere Menschen losgelassen werden, da ich Fehler mache. Ich mache Fehler, ich bin schlecht, nicht brauchbar, nicht perfekt …
Ob ich nun will oder nicht, die Gedanken prasseln auf mich ein, als ob sie mich für meinen Fehler erschlagen wollen. Ich bin nicht perfekt … natürlich nicht, aber andere doch auch nicht, denke ich mir. Mensch, wer ist denn schon perfekt und macht immer alles richtig? Eine kleine zaghafte Stimme in mir versucht Partei für mich zu ergreifen.
Doch mein großes Gefühl der Minderwertigkeit lässt mich nicht los. Ich fühle mich total oll, nutzlos und schäme mich – und bin kurz davor, dass Handtuch zu werfen und von selbst meine kleine Aufgabe niederzulegen. – Obwohl ich das grundsätzlich ja gar nicht möchte. Doch schon ist das große Aber auf dem Weg in meinen Kopf … und damit gehts dann richtig los …
Ein kleiner Fehler – und alles in mir diskutiert
Während der Kritiker in mir mich mit destruktiver Kritik, wie oben beschrieben, bombardiert, fährt die Motivatorin in mir ihre Geschütze auf: Ich kann das schaffen, zudem bin ich doch erst am Anfang. Ich kann noch so viel lernen und muss gar nicht alles auf einmal richtig und perfekt können. Ich habe Erfahrung in dem Thema und kann damit andere unterstützen. „Trau Dich – wir schaffen das!“ ruft sie mir zu.
Die Angst gesellt sich zu meinem Kritiker und gibt mir zu bedenken, was doch alles passieren könnte, wenn ich nochmal einen Fehler mache und der weitreichendere Folgen hat. Immerhin habe ich in dem Amt mit Menschen zu tun, die ebenso betroffen von Depressionen sind. Was ist, wenn da irgendwas tragisches passiert? – Und schon bahnen sich entsprechende Katastrophengedanken ihren Weg zu mir hindurch …
Der Selbstzweifler in mir unterstützt die Angst: Mensch, ist das nicht zu viel für Dich? Eine Nummer zu groß? Denk doch mal an die Verantwortung, die Du da hast? Packst Du das? Und überhaupt, wie war das nochmal mit Dir und der Abgrenzung? Solltest Du nicht erstmal mit Dir selbst richtig klarkommen, ehe Du andere Menschen berätst?
„Hey Selbstzweifler“, mischt sich nun der selbstsichere Anteil mit ein, „bezweifle Du erstmal Deine Zweifel ehe Du andere verzweifeln lässt! Wir packen das, immerhin gibt es Unterstützung und alles wird nochmal kontrolliert, ehe es an den Absender rausgeht! Außerdem stehen wir am Anfang und sind dabei, alles zu lernen.“
Der kühle Kopf in mir wägt die Fakten ab und meint, dass ich dass jetzt mal beiseite legen und am Abend mit jemandem besprechen sollte. Dies unterstützte der bequeme Anteil in mir, da dieser einfach keine Lust mehr hat, dieser Diskussion zwangsläufig zuzuhören.
Erleichtert klatscht die Hilflose in mir in die Hände, weil jetzt endlich jemand erstmal entschied, was zu machen ist, während der fürsorgliche Anteil unterwegs in die Küche ist, um mir einen Tee zu kochen.
Ich mache Fehler – dennoch ist es richtig
Am Abend sitze ich mit meinem Freund zusammen und erzähle ihm von meinem Gefühls- und Kopfchaos. Es hilft mir etwas, dass er von sich und seinen Fehlern auf der Arbeit erzählt. Das dies irgendwie normal ist. Zudem erinnert er mich daran, dass auch mein Psychiater mal einen Fehler bei mir gemacht hat, in dem er unglückliche Worte nutzte. Dass der Fehler meines Psychiaters mir zudem ein Stück weiter geholfen hat, sodass ich dadurch lernen und wachsen konnte bzw. kann und vor allem die Erkenntnis hatte, dass auch mein Psychiater nur ein Mensch ist.
Unser Gespräch verschafft mir etwas Distanz zu meinen verzerrten Gedanken und relativiert diese. Ich habe einen kleinen Fehler gemacht, ja, doch in der ganzen hitzigen Diskussion mit mir selbst habe ich die 90% vernachlässigt, die ich richtig gemacht habe.
In dem Ehrenamt selbst arbeite ich als Mailberaterin einer Betroffenenorganisation und beantworte Mails von Menschen, die ebenfalls von Depressionen betroffen sind. Der Hinweis, den ich vergessen habe, ist vergleichbar mit z.B. der Aussage, dass man eine Cola-Dose vorm Öffnen nicht schütteln sollte. Das weiß jeder, es ist naheliegend – ich habe diesen Hinweis eben vergessen. Es ist nicht tragisch, es ist nichts schlimmes – warum gebe ich dennoch diesem Fehler soviel Wert und lasse ihn an mir selbst zweifeln?
Es ist zu großen Anteilen eine tiefsitzende Angst … Angst zu Versagen, Angst anderen Menschen zu schaden, Angst vor der Verantwortung.
Wir kennen alle die tollen Sprüche á la „Aus Fehlern lernt man“ und „Jeder macht mal Fehler“ – auch wenn ich sie in solchen Momenten überhaupt nicht hören mag, so sind sie einfach mal wahr. Zudem darf deren Inhalt ebenso für mich gelten – auch das ist wahr!
Auch wenn es noch schwierig ist, dies für mich anzunehmen, weiß ich, dass es richtig ist. Und auch wenn die Diskussion mit meinem inneren Team, also den Anteilen in mir, wahnsinnig anstrengend und nervenaufreibend ist, so ist es gut und wichtig. Angst ist ein wahnsinnig unangenehmes Gefühl, doch halt gleichermaßen ein wichtiges und beschützendes.
Sicherlich werde ich bei der nächsten Mail auch ewig daran sitzen, ehe ich mich traue sie abzuschicken. Bestimmt wird es nochmal vorkommen, dass ich etwas vergessen habe. Vielleicht kommt auch mal der Fall, dass ich zu der Mail keine Antwort verfassen kann, da ich dazu keine Erfahrung bzw. Wissen habe.
Doch wenn ich jetzt auf die Angst höre, dann werde ich nie weiterkommen.
Dennoch ist es richtig, dass ich das Amt mache. Es ist wichtig für mich, da ich eine sinnstiftende Aufgabe habe, an der ich lernen und wachsen darf. Und es ist richtig, soweit es anderen Menschen hilft.
Auch hier über meinen Blog erreichen mich mehrmals pro Woche E-Mails mit Fragen zum Thema Depression, Angst, Beziehung, Tagesklinik, Tabletten und Therapie … und es tut mir ungemein gut, wenn ich eine Rückmeldung erhalte, dass meine Antwort dem Fragesteller etwas weiterhelfen konnte bzw. ihm meine Antwort vermittelt, dass da jemand ist, der einen in seinem Gefühl versteht. Gerade letzteres, dass jemand Verständnis hat, ist etwas Essenzielles. Solche Rückmeldung zeigen mir, dass es richtig ist, was ich mache.
Dennoch werde ich auch in diesen Mails nicht perfekt sein und vielleicht auch mal etwas vergessen, da meine eigene Erfahrung einfach nur meine Erfahrung ist und nicht eine vollkommene.
Somit versuche ich mich ein wenig runterzufahren und zu beruhigen … ich bin erst seit kurzer Zeit in dem Ehrenamt und meinen Blog gibt es noch nicht mal ein ganzes Jahr. Ich habe noch eine Menge zu lernen, ehe ich etwas wirklich sehr gut mache – und das muss okay sein. Auch ich muss die Zeit zum Lernen und Wachsen haben dürfen.
Ähnlich wie bei der Exposition von Ängsten, wo man sich den angstmachenden Situationen stellt, hoffe ich, dass ich mich weiter trauen werde, neue Aufgaben anzugehen und dadurch immer mehr meine Ängste und Minderwertigkeitsgefühle abzulegen.
Und auch wenn ich es noch nicht fühle, dass es okay ist, Fehler zu machen, so habe ich zumindest einen Anteil in meinem Kopf, der mir sagt, dass es okay ist. Das Fehler wichtig sind. Das ich die auch machen darf – privat, im Ehrenamt als auch mal in einem „richtigen“ Job. Dass ich nur Neues lernen kann, wenn ich mich traue, Fehler zu machen.
Vor allem rede ich mir zu, dass auch ich „nur“ ein Mensch bin und dass, nur weil ich einen Fehler mache, es nicht im Umkehrschluss bedeutet, dass ich der Fehler bin …
Wie gehst Du mit Fehlern um, die Du beruflich oder privat mal gemacht hast? Kannst Du sie als Helfer annehmen oder verurteilst Du Dich? Ich freue mich auf einen Kommentar von Dir 😉
9 Kommentare zu „Ein kleiner Fehler – und alles in mir diskutiert“
Liebe Nora,
Ich stieß durch Zufall auf Deinen Blog.
Ich finde mich in so vielen Beiträgen immer wieder und bin Dir sehr dankbar dafür, dass Du Deine Gedanken und Gefühle für die Außenwelt niederschreibst, denn Du bist ein Sprachrohr für Menschen wie mich, die ihre Emotionen und Gedanken nicht so gut verbalisieren können.
Dankeschön dafür!!!
Liebe Nora, als ich eine junge Frau war, habe ich mir auch keinen Fehler verziehen und hat mich jeder Fehler, den ich gemacht habe, runter gezogen. Heute bin ich 51 und denke mir rückblickend, dass ich in erster Linie über meine Fehler gelernt habe. Ich denke unsere Sicht auf Fehler hat sehr viel mit Sozialisation zu tun, damit wie wir lernen Fehler zu betrachten, wie in unserer Gesellschaft das Fehlermachen betrachtet wird. Leider ist unser Kulturkreis hier unerbittlich. Wir haben in Europa eine schlechte Fehlerkultur. Fehler müssen bei uns versteckt werden, für Fehler muss man sich in unserem Kulturkreis schämen. Dabei ist dieser Umgang mit Fehlern total ineffektiv, weil er uns am Lernen hindert. Würden wir Fehler positiv betrachten, im Sinne von Lernen, dann wären wir als Gesellschaft innovativer, nachhaltiger und wohl auch klüger. Ich selbst habe mir vorgenommen mit mir nachsichtiger umzugehen. Ich bin keine Maschine, sondern ein Mensch. Liebe Grüße! Sonja
Liebe Sonja,
vielen Dank für Deine mutmachenden Worte – vor allem das Wort „Fehlerkultur“ gefällt mir! Ich sehe es genauso – wie oft wird man für einen Fehler bestraft (bzw. wurde dies früher) und muss sich heute dafür schämen, wenn es einem auf der Arbeit passiert. Dass wir nur Neues lernen können, wenn wir uns auch trauen, Fehler zu machen, wird dabei außer Acht gelassen. Ich möchte auch versuchen, mit mir nachsichtiger umzugehen … es ist wie so vieles wohl ein längerer Prozess, doch dass Du Dir oder ich mir das vornehme, ist schon mal der erste Schritt in die richtige Richtung, denke ich.
Ich wünsche Dir weiterhin den Mut für Fehler 😉
Alles Gute und liebe Grüße,
Nora
Liebe Nora,
ich bin beeindruckt von deiner Ehrlichkeit und deiner Selbstreflektion.
Ich habe in meiner neuen Teilzeitstelle den Anspruch an mich gehabt, alles perfekt machen zu müssen. Weniger aus Angst vor dem Chef, vielmehr ein Anspruch, den ich mir selbst gesetzt habe. Ich habe natürlich Fehler gemacht und sie haben mich geärgert. Doch ich habe dadurch viel mehr gelernt, über mich und meine Arbeit und meine innere Stimme beruhigte mich: „Was wäre im schlimmsten Fall passiert?“
Zum Glück nichts, was man nicht wieder korrigieren könnte.
In meiner Selbständigkeit ist eine andere Stimme nach den Coachings dafür präsenter. Sie zerlegt mich ganz gerne, was ich nicht alles anders und besser hätte sagen oder fragen können. Die Zweifel werden groß und ich fühle mich schrecklich.
Da beruhigt mich dann nur das Feedback meiner Klienten und die Schritte, die sie dann gegangen sind. Damit die Zweiflerstimme kleiner wird, habe ich mir eine Erfolgsliste angelegt, die mir zeigt, wie oft ich etwas gut geschafft habe. Wenn dann ein Fehler passiert oder etwas unrund lief, dann kann ich alles sehr gut relativieren, denn ich sehe im Vergleich, wie oft alles super lief.
Ich glaube allerdings auch, dass eine Zweiflerstimme uns besser macht, wir arbeiten weiter an uns und ohne eine Prise Unsicherheit oder Zweifel würden wir eventuell arrogant und abgehoben durchs Leben laufen.
Es darf allerdings nur eine Prise sein 🙂
Danke für deinen wundervollen Blog und ich wünsche dir weiter viel MUT! Die Menschen brauchen Dich!
Ganz liebe Grüße
Monika Schießler
Liebe Monika,
vielen Dank für Deine lieben und offenen Worte! Ich muss schon sagen, es erstaunt mich immer wieder, mit was für Zweifeln auch Menschen zu tun haben, die erfolgreich im Beruf stehen, so wie Du. Ich hätte nie gedacht, dass auch Du z.B. so sehr mit Fehlern und Zweifeln haderst. Wie oft denkt man (ich) halt, dass andere immer alles besser können.
Daher vielen Dank an die Erinnerung, dass wir alle eigentlich nur Menschen sind und wir alle Fehler machen (dürfen!)! Und ja, ich geb Dir recht – ohne Zweifel und Unsicherheit würden wir schnell abheben.
Dir weiterhin alles Gute und liebe Grüße,
Nora
Ich bin gerade durch Zufall auf deinen Blog gestoßen – habe ich selbst immer und immer wieder mit solchen Dingen zu kämpfen. Bisher habe ich es nur zu einem Erstgespräch beim Psychologen schafft, nehme mir immer wieder vor mir Hilfe zu suchen, doch wie du so schön gesagt hast… Das Selbstbewusstsein, wie auch die Angst (vor allem vor dem Unbekannten „Ich“ was aus der Therapie resultieren würde) sind da häufig einer Meinung, was das Thema anbelangt.
Ich fange demnächst auch wahrscheinlich eine neue Stelle an – in einer Webagentur, welche für mich vom Gefühl her perfekt ist. Doch ich weiß, die Fehler werden kommen, welche mir wieder den Schlaf rauben, was dazu führt, dass ich wahrscheinlich verschlafe und daraufhin nach ein paar Monaten wieder ohne Stelle dasitze, weil ich es nie geschafft habe einen Schritt weiter zu gehen.
Ich finde es gut, dass du darüber schreibst, besser noch das es dir hilft. Ich überlege auch, etwas ähnliches zu machen.
Danke für deine wertvolle Zeit, die du hier investierst.
Jenny
Liebe Jenny,
vielen Dank für Deine Zeilen.
Ich wünsche Dir viel Kraft für Deinen neuen Job und dazu den Mut, einen Schritt weiterzugehen! Wie Anni in dem Kommentar vor Dir schrieb … wir „müssen“ uns was zutrauen. Das ist schwer und viel leichter gesagt, ich weiß, umso mehr wünsche ich Dir und uns die Kraft dazu!
Alles liebe und vor allem auch viel Erfolg für Deine Therapie,
Nora
Liebe Nora,
da sprichst du ein Thema an, welches mir zu vertraut vorkommt. Ich bin der Überzeugung egal was ich tu, ich muss es können und perfekt machen. Zum Beispiel fange ich ja nächste Woche meine neue Stelle an – interkulturelle Beratung und Betreuung von Migranten mit psychiatrischen Erkrankungen. Jeder sagt mir, dass ich Berufsanfängerin in diesem Bereich bin und nicht alles wissen oder können muss. Ich denke mir allerdings die Chefin erwartet von mir Fachwissen und Handlungssicherheit, denn ich habe doch schließlich studiert. In meinem Kopf startet ein ähnliches Chaos wie bei dir. Über die Zeit habe ich nur auch auf irgendeine mysteriöse Weise gelernt mich zu beruhigen – die Ratio sprechen zu lassen. Mir ist klar wie unlogisch es ist anfangs alles wissen zu können.
Ich finde es klasse, dass du dich ehrenamtlich engagierst und anderen Betroffenen mit deiner Erfahrung helfen kannst. Du bist damit schon so viele kleine Schrittchen weiter als manch Anderer! Bleib dabei und trau es dir weiterhin zu.
Annie
Liebe Anni,
ich kann mich in dem was Du schreibst so doll wiederfinden. Ich hoffe, dass Dich Dein neuer Job erfüllt, Dir Freude macht und Du in Deinem Tempo nach und nach alles lernst, ohne Dich unter Druck zu setzen!
Es ist mutig, dass Du Dich dem nun stellst, alles gute und ich gebe Dir gerne Deine Aussage ebenso an Dich zurück: Trau es Dir zu 😉
Alles Liebe,
Nora