Vor etwa zwei Wochen schrieb ich auf Facebook, dass ich alleine in einem Fahrstuhl stecken geblieben bin, vor lauter Schreck erst einmal meinen Freund angerufen habe und dann den Notruf im Fahrstuhl betätigte. Der Mann vom Notdienst fragte mich, ob ich die Tür von innen aufschieben kann. Ungläubig starrte ich auf die Sprechanlage – wie soll ich bitte eine metallene, schwer aussehende Fahrstuhltür aufschieben können? Mit wenig Hoffnung in den Händen schob ich die Tür und in der Tat, sie bewegte sich und ich war wieder in Freiheit.
Gefangen im Fahrstuhl – gefangen in Depression und Angst
Auf meinen Post hin schrieb mir ein junger Mann, welcher mein Erlebnis als Metapher für sein Leben sah. In den letzten zehn/fühnzehn Jahren sei er eingesperrt in seinem Fahrstuhl, eingesperrt in Depressionen und Ängsten.
Innen drin sei er ganz alleine. Es ist leer, kalt, einsam und er hat keine Hoffnung, dass jemals jemand anderes die Tür aufmacht. Er selbst hätte nicht wie ich die Kraft, die Tür alleine zu öffnen, schrieb er.
Diese Metapher gefällt mir sehr gut, da ich mich mit dieser und seinen Gedanken dazu sehr identifizieren kann.
Wie oft war ich in einer Panikattacke gefangen, wie oft in eine tiefe depressive Krise gerutscht? Wie oft habe ich geglaubt, ich werde endgültig abstürzen und sterben müssen, weil ich nicht mehr die Kraft für ein Leben in dieser Leere hätte? Wie oft war ich hoffnungslos, ohne Zuversicht und eingesperrt in meinen düsteren Gedanken und nicht vorhandenen Gefühlen? Wie oft wünschte ich mir, dass mich jemand rettet und die Tür zu mir aufbricht und mich befreit?
Wir alle können unser Leben mit einem Fahrstuhl vergleichen – es geht immer mal hoch, es geht immer mal runter, jeder bleibt mal stecken und jeder ist mal nicht funktionsfähig und braucht Hilfe von außen.
Menschen mit chronischen Erkrankungen (egal ob physisch oder psychisch) sind anfällig dafür, dass ihr Fahrstuhl steckenbleibt und sie Hilfe von außen benötigen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir auf Lebenszeit darin gefangen sind.
Bei mir selbst besteht eine rezidivierende (immer wiederkehrende) depressive Störung. D.h., ich durchlebte immer wieder depressive Phasen und bin allgemein in dieser Hinsicht anfällig. Seit gut sechs Monaten bin ich vieles, jedoch nicht depressiv.
Mein Fahrstuhl hat also die Einschränkung, dass es immer mal wieder ruckelt, klemmt oder er sogar steckenbleibt. In den letzten Jahren ist er oft stecken geblieben, nichts funktionierte mehr und ich brauchte Hilfe von außen. Sei es durch psychiatrische Kliniken oder ambulanter Therapie – mit Hilfe derer habe ich mich und meinen Fahrstuhl besser kennengelernt.
Nach und nach erkannte ich, was das Grundproblem in meinem Fahrstuhl ist. Er ist nicht ganz so stabil gebaut wie manch andere Fahrstühle, er hat nicht so ein massives Gehäuse und ist durch Einwirkungen von außen schneller beschädigt als andere. Seine Geschwindigkeit ist begrenzt und die Verriegelungsvorrichtung der Schachttüren funktioniert nicht einwandfrei. Manchmal ist diese zu fest, dass man die Tür nicht aufbekommt und manchmal ist die Tür nicht richtig verschlossen, sodass etwas ins innere des Fahrstuhls kommt, was gar nicht rein soll (schlechte Luft z.B.). Hier und da gibt es Mankos.
Durch die Therapie lernte ich, was meinem Fahrstuhl einschränkt, was ich ändern und wie ich ihn besser pflegen sollte. Ich lernte mehr und mehr seine besondere Funktionsweise kennen und sogar akzeptieren.
Und ja, ich schrieb „besondere Funktionsweise“ – mein Fahrstuhl ist nicht schlechter als andere. Auch nicht besser, vor allem aber halt nicht schlechter! Trotz seiner Einschränkungen ist er wertvoll und funktionsfähig. Er hat eine Aufgabe, einen Sinn. Und ich weiß bzw. darf glauben, dass andere meinen Fahrstuhl sehr schätzen.
Der junge Mann schrieb mir neulich also, dass er nicht – wie ich – die Kraft hätte, die Tür seines Fahrstuhls zu öffnen.
Nun, so ganz alleine habe ich es ja auch nicht geschafft. Vor Schreck rief ich erst meinen Freund an, der versuchte, von außen den Knopf zu drücken und damit den Fahrstuhl wieder in Ganz zu bringen. Da dies nicht funktionierte, rief ich den Fahrstuhl-Notdienst an, welcher mir sagte, dass ich die Tür von innen aufschieben soll. Wie gesagt, etwas, wovon ich dachte, dass ich es nie schaffen werde, eben weil die Tür so aussah wie eine schwere Metall-Tür.
Wenn ich in einer Krise bin, dann schaffe ich es selten alleine aus dieser heraus. Mein Freund ist derjenige, welcher mir am nächsten steht. Zudem gibt es auch einige sehr gute Freunde, welchen ich mich anvertrauen darf und inzwischen auch kann. Doch auch ihre Unterstützung reichte in den letzten Jahren nicht aus, um mir zu helfen – und doch tat es gut, dass sie da waren, auch wenn wir durch eine Metall-Tür in meinem Inneren getrennt waren.
Oft habe ich den Fahrstuhl-Notdienst kontaktiert in Form meines Psychiaters, meines Hausarztes und meiner Therapeutin. Oft hat diese Hilfe alleine nicht ausgereicht. Der Fahrstuhl musste intensiver repariert werden – ich musste in eine psychiatrische Klinik.
Diese Form der Hilfe wirkt nicht von jetzt auf gleich. Es ist ein langer Prozess, für den ich als Betroffene als auch meine Angehörige viel Geduld brauchen. Sehr oft habe ich gedacht, dass ich doch gerade erst in einer Tagesklinik war – warum bleibe ich nun schon wieder stecken?
Die Therapeuten haben so gut wie nie die Tür für mich ganz alleine aufgeschoben. Meine Mithilfe war gefragt. Doch sie gaben mir den ein oder anderen Anstupser, etwas auszuprobieren, womit ich die Tür vielleicht aufbekommen könnte.
Da jeder Fahrstuhl anders ist, kann Hilfe leider nicht pauschalisiert werden.
Für jeden Fahrstuhl bestehen unterschiedliche Bedingungen und Grundvoraussetzungen – es gibt die modernen Aufzüge mit einer integrierten Notdienstklingel, wo man jemanden zeitnah erreicht und Hilfe erhält. Doch es gibt auch – dies habe ich zufällig am selben Tag von meiner Nachbarin erfahren – Fahrstühle, die noch ganz alt sind und keine Klingel haben. Wenn man dann kein Handy bzw. keinen Empfang hat, muss man warten, bis mal jemand vorbei kommt. Einem Bekannten meiner Nachbarin musste dies unlängst erleben und war über Stunden in einem alten Fahrstuhl gefangen.
So ist dies auch mit unseren Krisen – es gibt Betroffene von Depressionen & Co, deren Ursache leicht ersichtlich ist bzw. wo die Depression zeitnah erkannt wurde und somit eine schnellere Hilfe geleistet werden kann. Oft kennt man die Ursache bzw. das Problem, doch die „Reparatur“ ist sehr aufwendig.
In meinem Fall wurde sie viele Jahre nicht erkannt, wodurch ich immer hoffnungsloser wurde und nicht mehr an Hilfe glaubte.
Bei einem Aufenthalt in der Tagesklinik lernte ich dann doch mal eine Therapeutin kennen, die mir Fragen stellte, welche mir zuvor noch nie jemand stellte. Damit half sie mir, die Tür zu öffnen und die Ursachen meines Ausfalls zu erkennen. Bei ihr bin ich nun noch in ambulanter Therapie und wir arbeiten gemeinsam daran, meinen Fahrstuhl zu reparieren.
Es musste auch in meinem Fall einiges ausprobiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Und wie neulich, als ich dachte, dass ich doch niemals so eine schwere Metall-Tür aufschieben könnte, gab (gibt) es auch in der Therapie oft Dinge, bei denen ich dachte, dass ich es nie schaffen werde … und doch kann ich inzwischen sagen, dass ich meine Forstschritte machen konnte.
Seit gut einem halben Jahr bin ich jetzt nicht mehr steckengeblieben. Manchmal ruckelt und stockt es, doch es gab keinen Total-Ausfall. In mich als Fahrstuhl habe ich im Laufe der letzten zwei Jahre mehr Vertrauen und Akzeptanz gewinnen können. Ich weiß, wie ich für meinen Fahrstuhl in den meisten Fällen sorgen muss und vor allem darf. Ich lernte das Ruckeln mehr und mehr zu akzeptieren und anzunehmen – so ist mein Fahrstuhl halt.
Vor allem lerne ich immer mehr, mich vor Faktoren zu schützen, die mich ausfallen lassen – bei jedem Fahrstuhl gibt es eine Gewichtsbeschränkung. Bei vielen ist es um die 300 kg, bei mir sind es mehrere Kilogramm weniger.
Dennoch bin ich ein gleichwertiger Fahrstuhl, wie jeder andere.
Natürlich kann ich nicht so viele Personen auf einmal transportieren wie andere. Doch es gibt andere Eigenschaften, welche die starken und robusten Fahrstühle nicht haben.
Mein Gehäuse kann ich als instabil sehen oder aber als zart und feinfühlig. Dass ich andauernd steckenbleibe kann als Fehler gesehen werden oder aber als „natürliche“ Bremse, besser auf mich zu achten und mit mir umzugehen. Selbst wenn man ein alter Paternosta ist – es gibt so viele Menschen, welche Holz mehr mögen als Metall. Holz ist weich, riecht gut und fühlt sich schön an. Ganz anders als so ein hartes, glänzendes Metall.
Jeder Fahrstuhl hat seine Stärken und Schwächen. Und das ist völlig in Ordnung.
So wünsche ich auch Dir, liebe/r LeserIn, dass Du trotz aller Einsamkeit und dem ewigen Verharren in der Krise nicht die Hoffnung aufgibst. Dass an Deinem Fahrstuhl jemand vorbeikommt, der Dir beim Tür-aufmachen hilft.
Ich wünsche Dir allzeit gute Fahrt mit dem Fahrstuhl Deines Lebens!
1 Kommentar zu „Der Fahrstuhl meines Lebens“
Liebe Nora,
gerade dieses Bild vom „ruckeligen“ Fahrstuhl, der bisweilen auch mal steckenbleibt, finde ich besonders gelungen! Meine depressiven Phasen habe ich mal mit einem Gefängnis verglichen, in dem man zugleich Gefangener und Wärter ist – man also lernen muss, sich selber den Schlüssel für die Gefängnistür in die Hand zu geben.
Welches Bild wir auch immer benutzen – entscheidend ist für mich, dass wir erkennen können, wie vieles wir selber in der Hand haben, wenn wir lernen, auf unsere eigenen Kräfte wieder zu vertrauen!
Herzlichst,
Eckhard