„Ich habe Depressionen.“ – Vom Satzbau her ein sehr einfacher Satz, doch für mich war es sehr lange Zeit einer der am schwierigsten auszusprechenden Sätze. Dass es für so eine Aussage sehr viel Mut bedarf, verstehen meistens nur ebenfalls Erkrankte. Denn kaum ein anderes Thema ist so stark tabuisiert und mit Stigmatisierungen versehen, wie psychische Erkrankungen.
Aufklärung und Entstigmatisierung von Depressionen – mit Hilfe vom Mut-Lauf
Aufgrund der Tabuisierung sind viele Betroffene von Depressionen einsam. Ich selbst habe jahrelang geschwiegen und mich in meinem Sein versteckt. Angst vor Ausgrenzung, Scham, Unverständnis – es gibt zig Gründe dafür, um nicht über so ein intimes Thema zu reden.
Doch Vorurteile und Stigmatisierungen resultieren aus Unwissen – und dem kann man entgegenwirken. Mit öffentlichen Events zum Beispiel.
So fand am 08.07.2017 der erste Kieler Mut-Lauf und am vergangenen Freitag, dem 05.08.2017, auf dem Tempelhofer Feld der zweite Berliner Mut-Lauf statt. „Die Idee des Mut-Laufs ist es, Menschen mit und ohne seelische Erkrankungen zusammenzubringen.“, so der Projektleiter für die Aktion in Berlin, Martin Schultz.
Der Mut-Lauf verfolgt somit einen Inklusionsgedanken, welcher wiederum für Aufklärung und Enttabuisierung sorgt. Das sportliche Engagement an diesem Tag ist die Gemeinsamkeit zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen.
Doch auch wenn es Mut-LAUF heißt, so stand nicht die sportliche Leistung im Vordergrund, sondern dass man sich GEMEINSAM für mehr Aufklärung und weniger Stigmatisierung psychischer Erkrankungen einsetzt.
Mut-Lauf – Eine Aktion gegen Ausgrenzung und Einsamkeit.
Das tolle an diesem Tag bzw. dem Event war, dass der Sport zwar eine wichtige Rolle spielte, jedoch nicht die oberste Priorität hatte. Denn offen gesagt, ich bin ein ziemlich großer Sportmuffel und joggen im Sommer klingt für mich nicht gerade reizvoll. Das machte nichts, denn jeder konnte die 2km lange Runde joggen oder halt auch spazieren gehen. Jeder so, wie er wollte und konnte und so oft wie er wollte und konnte – dies ist ein wichtiger Punkt.
Denn auch wenn sich die Symptomatik bei Depressiven sehr ähnelt, so kann man Hilfsangebote nicht pauschalisieren. Zwar ist nachweislich bewiesen, dass Sport und Bewegung bei vielen psychischen Erkrankungen hilft, doch dem einen hilft das Joggen, dem anderen tut ein ruhiger Spaziergang gut und der nächste braucht statt Bewegung erst einmal eher stark entspannende und ruhende Übungen. So etwas muss und wird jeder für sich selbst – mit Hilfe seines Therapeuten/Arztes – herausfinden. Jeder für sich und in seinem Tempo.
Und so war es völlig in Ordnung, dass ich lediglich eine Runde im gemächlichen Spaziergang absolviert habe. Begleitet wurde ich dabei von zwei Therapiehunden namens Joschi und Carla – Tiere, meine persönlichen Hilfstherapeuten.
Mit deren Herrchen (einem Heilpraktiker für Psychotherapie) und dem dritten Hund aus der Reihe – Urmel – kam ich ein paar Stunden vorher ins Gespräch. Urmel hat sogar eine eigene Facebook-Seite, wo ihr etwas über seine Arbeit erfahrt: Urmel: Vom Tierschutz- zum Therapiehund
Und so etwas ist der zweite Hauptpunkt an dieser (und im allgemeinen an solchen) Veranstaltung – Gespräche mit Gleichgesinnten, Angehörigen, Therapeuten oder auch Vertretern von Kliniken und Organisationen.
Mut-Lauf – nicht nur Sport, sondern auch Austausch mit anderen
Besonders der Austausch mit anderen Betroffenen ist für viele Erkrankte sehr hilfreich und eine wichtige Kraft-Ressource, weshalb auch ich seit Anfang 2015 in Selbsthilfegruppen aktiv bin und dieses Format nur weiter empfehlen kann.
Aus diesem Grund war es auch eine Besonderheit, dass der Hildesheimer Blogger und Autor Markus Bock an diesem Tag eine Open-Air-Lesung veranstaltete. Er erzählte über sich, seinem Leben, seinem Papa-sein und wie er das alles mit seinen Depressionen handhabt. Im kommenden Herbst erscheint sein Buch. Bis dahin kann man ihn bzw. seine Texte auf seinem Blog verbockt.de oder auch auf seiner Facebookseite lesen.
Zudem ist Markus Bock Mitinitiator des Vereins Sport gegen Depressionen, welcher mit einem Stand zum Markt der seelischen Gesundheit beitrug. Weitere Info-Stände gab es u.a. von einem Berliner Frauennachtcafé, dem Alexianer Krankenhaus St. Joseph Weißensee, dem Verein Freunde fürs Leben, bipolares e.V. – Manie und Depression Selbsthilfevereinigung, der Gemeinnützigen Gesellschaft für Jugendberatung und psychosoziale Rehabilitation und dem Berliner Schulprojekt „Wahnsinnig normal“.
Einen Teil des Startgeldes, den jede/r Teilnehme/r des Mut-Laufes zahlte, wird der Kampagne „Kinder Psychiatrie-Erfahrener Eltern“ gespendet. Dieses Projekt wurde an dem Nachmittag von der Initiatorin Heike Korthals natürlich ebenfalls vorgestellt.
Für die Kleinen unter uns kam der Spaß auch nicht zu kurz – Kinderschminken und eine Hüpfeburg ließen Kinderherzen höher schlagen. Zudem gab es verschiedene kulinarische und akustische Appetithäppchen, was die erwachsenen Kinderherzen erfreute.
Natürlich gehört zu so einem sportlichen Lauf auch eine Medaille – nicht für besondere sportliche Leistungen, sondern einfach so. Als Anerkennung für den Mut. Als Zeichen für die Gemeinschaft. Als schöne Erinnerung.
Mein Herz und Kopf ist voll von schönen Erinnerungen. Denn es waren bewegende, aufregende und sehr bereichernde Stunden, wofür ich sehr dankbar bin. Zudem habe ich die Hoffnung, dass aus solchen Events eine größere Bewegung stattfindet. Nicht nur in den Beinen, sondern auch in den Köpfen von uns Menschen. Damit Depressionen & Co kein Grund mehr sind, um sich zu verstecken oder zu schämen.
Auch wenn ich noch nicht so ganz mit dem Sport-Virus infiziert wurde kann ich sagen, dass ich mich schon sehr auf das nächste Jahr freue. Der Mut-Lauf 2018 in Berlin – vielleicht bist auch Du mit dabei? Oder vielleicht findet er auch in weiteren Städten statt?
Denn es macht Sinn … macht Spaß … macht MUT!