Nachfolgend eine Kurzgeschichte, welche ich vor vielen Jahren mal zufällig fand. Es war in einer Zeit, wo ich meinen jetzigen Partner noch nicht kannte. Es war eine Zeit, wo ich mal wieder in einer Krise war und nicht ein noch aus wusste. Mit Narben auf dem Körper und mit Narben im Herzen fühlte ich mich alles andere als „schön“ und glaubte nie daran, dass mich mal jemand ernsthaft und aufrichtig lieben könne. Denn wer will schon ein vernarbtes Herz, welches ich selbst nicht mal mag?
Doch Narben sind ein Zeichen dafür, dass man gelebt und oft gekämpft hat. Keiner von uns lebt in Watte eingepackt. Jeder Mensch hat seine Narben – manche sichtbar, manche unsichtbar. Und alle Narben sind eines: Zeichen dafür, dass man Erfahrungen hat, dass man geliebt und gelitten hat. Ein Zeichen dafür, dass man ein Mensch mit Gefühlen ist … wie kann so etwas hässlich sein?
Die Geschichte vom schönsten Herz
Eines Tages stand ein junger Mann mitten in der Stadt und erklärte, dass er das schönste Herz im ganzen Tal habe. Eine große Menschenmenge versammelte sich und sie alle bewunderten sein Herz, denn es war perfekt.
Es gab keinen Fleck oder Fehler an ihm. Ja, sie alle gaben ihm recht, es war wirklich das schönste Herz,
was sie je gesehen hatten. Der junge Mann war sehr stolz und prahlte noch lauter über sein schönes Herz.
Plötzlich tauchte ein alter Mann vor der Menge auf und sagte: „Nun, Dein Herz ist nicht mal annähernd so schön wie meines!“
Die Menschenmenge und der junge Mann schauten das Herz des alten Mannes an. Ees schlug kräftig, aber es war voller Narben. Es hatte Stellen, wo Stücke entfernt und durch andere ersetzt worden waren, aber sie passten nicht richtig und es gab einige ausgefranste Ecken. Genauer gesagt waren an einigen Stellen tiefe Furchen, wo ganze Teile fehlten.
Die Leute starrten ihn an. ‚Wie kann er behaupten, sein Herz sei schöner?‘ dachten sie.
Der junge Mann schaute auf des alten Mannes Herz, sah dessen Zustand und lachte: „Du musst scherzen“, sagte er, „Dein Herz mit meinem zu vergleichen. Meines ist perfekt und Deines ist ein Durcheinander aus Narben und Tränen.“
„Ja“, sagte der alte Mann, „Deines sieht perfekt aus, aber ich würde niemals mit dir tauschen wollen.“
Die Menschen lauschten gespannt, als der alte Mann weitersprach:
„Jede Narbe steht für einen Menschen, dem ich meine Liebe gegeben habe. Ich reiße ein Stück meines Herzens heraus und reiche es ihnen und oft geben sie mir ein Stück ihres Herzens, das in die leere Stelle meines Herzens passt. Aber weil die Stücke nicht genau sind, habe ich einige raue Kanten, die ich sehr schätze, denn sie erinnern mich an die Liebe, die wir teilten.
Manchmal habe ich auch ein Stück meines Herzens gegeben, ohne dass mir der andere ein Stück seines Herzens zurückgegeben hat, das sind die leeren Furchen.
Liebe geben heißt manchmal auch ein Risiko einzugehen. Auch wenn diese Furchen schmerzhaft sind, bleiben sie offen und auch sie erinnern mich an die Liebe, die ich für diese Menschen empfinde. Und ich hoffe, dass sie eines Tages zurückkehren und den Platz ausfüllen werden. Erkennst du jetzt, was wahre Schönheit ist?“
Der junge Mann stand still da und Tränen rannen über seine Wangen. Er ging auf den alten Mann zu, griff nach seinem perfekten jungen und schönen Herzen, riss ein Stück heraus und er bot es dem alten Mann mit zitternden Händen an.
Der alte Mann nahm das Angebot an, setzte es in sein Herz und nahm dann ein Stück seines alten vernarbten Herzens und füllte damit die Wunde des jungen Mannes Herzen. Es passte nicht perfekt, da es einige ausgefranste Ränder hatte.
Der junge Mann sah sein Herz an, nicht mehr perfekt, aber schöner als je zuvor, denn er spürte die Liebe des alten Mannes in sein Herz fließen.
Sie umarmten sich und gingen weg,
Seite an Seite.