Einige Wochen war es hier aufgrund meiner Operation und der Genesungszeit ruhiger. Es ist alles gut verlaufen und so langsam werde ich auch wieder fitter. Noch brauche ich einiges an Geduld, Schmerztabletten und Unterstützung durch meinen Partner – und das ist okay. Wie bei vielen anderen Menschen, fällt es auch mir viel einfacher, meine körperliche Eingeschränktheit viel eher und mehr zu akzeptieren – doch wehe, ich bin aufgrund einer Krise psychisch eingeschränkt. Dann bin ich alles, aber nicht wertvoll und „richtig“.
Wertvoll … voll Wert … voller Werte
Ab wann ist jemand oder etwas wertvoll?
So oft habe ich mich mit anderen verglichen, die dieses und jenes viel besser konnten als ich – die anderen waren schlauer, konnten viel besser logisch und räumlich denken, kannten historische Zusammenhänge und die Namen aller Politiker im Bundestag.
Die anderen waren in so vielen Dingen viel schneller als ich – sei es beim Wettlauf in der Schule oder aber auf der Karriereleiter.
Andere waren weitestgehend gesund und somit per se wertvoll. Und ich? Ich war eher so ein wertvoller Mensch in Teilzeit.
Nämlich dann, wenn ich eine gute Mathe-Arbeit schrieb. Dann, wenn ich erfolgreich anderen helfen konnte. Dann, wenn ich im Studium gut war. Dann, wenn ich „gesund“ und munter war. Dann, wenn ich so war, wie andere es erwarteten.
In diesem „Teilzeit-Job“ ging das auch teilweise gut. Solange, bis meine Seele vom ständigen Verbiegen krumm und rissig wurde. Infolgedessen sank mein Wert noch mehr …
Aber mal ehrlich – wie wertvoll ist denn so ein Denken?
Sind wir nur wertvoll, wenn wir so sind wie die anderen und deren Erwartungen entsprechen? Sind wir nur wertvoll, wenn wir nahezu identisch und angepasst wie eine Kopie von anderen sind?
Was gäbe es für Fortschritte und Entwicklungen, wenn sich niemand getraut hätte mal anders zu denken und anstelle dessen so wäre wie ein anderer? Und was gäbe es für verschiedene menschliche Untergänge, wenn sich immer alle denjenigen angepasst hätten, die gerade an der Macht waren?
Wertvoll – aufgrund von Haben oder Sein?
Person A ist rundum gesund, besitzt eine große Villa und hat einen exorbitant gut bezahlten Job. Jedem Obdachlosen auf der Straße wirft er einen abfälligen, verächtlichen Blick zu.
Person B sitzt im Rollstuhl und verkauft für ein paar Cent die Straßenzeitung vorm Hauptbahnhof. Die Touristen grüßt er und schenkt ihnen ein Lächeln.
Ja ich weiß, dass sind jetzt natürlich extreme und mehr oder weniger pauschale Beispiele. Dennoch: Wer ist Deiner Meinung nach ein wertvollerer Mensch?
Ist es nicht egal, was Du (nicht) hast? Zählt nicht mehr, was und wie Du bist?
Folgende Kurzgeschichte lief mir unlängst vor die Nase und bringt meine Gedanken einmal mehr auf den Punkt:
Du bist wertvoll!
Ein wohlbekannter Sprecher startete sein Seminar, indem er einen 50 EURO Schein hoch hielt. In dem Raum saßen insgesamt 200 Leute. Er fragte: “Wer möchte diesen Schein haben?” Alle Hände gingen hoch.
Er sagte: “Ich werde diesen 50 EURO Schein einem von Euch geben, aber zuerst lasst mich eins tun.”
Er zerknitterte den Schein.
Dann fragte er: “Möchte ihn immer noch einer haben?” Die Hände waren immer noch alle oben. Also erwiderte er: “Was ist, wenn ich das tue?”
Er warf ihn auf den Boden und rieb den Schein mit seinen Schuhen am dreckigen Untergrund. Er hob ihn auf, den Schein; er war zerknittert und völlig dreckig. “Nun, wer möchte ihn jetzt noch haben?” Es waren immer noch alle Arme in der Luft.
Dann sagte er:
“Liebe Freunde, wir haben soeben eine sehr wertvolle Lektion gelernt. Was auch immer mit dem Geld geschah: Ihr wolltet es haben, weil es nie an seinem Wert verloren hat. Es war immer noch und stets 50 EURO wert.
Es passiert oft in unserem Leben, dass wir abgestoßen, zu Boden geworfen, zerknittert, und in den Dreck geschmissen werden. Das sind Tatsachen aus dem alltäglichen Leben.
Dann fühlen wir uns, als ob wir wertlos wären. Aber egal was passiert ist oder was passieren wird, DU wirst niemals an Wert verlieren. Schmutzig oder sauber, zerknittert oder fein gebügelt, DU bist immer noch unbezahlbar für all jene, die dich über alles lieben.
Der Wert unseres Lebens wird nicht durch das bewertet, was wir tun oder wen wir kennen, oder wie wir aussehen … sondern dadurch wer Du bist. Du bist was besonderes und wertvoll – Vergiss das NIEMALS!
Und denk daran: Einfache Leute haben die Arche gebaut – Fachmänner die Titanic.”
– Autor unbekannt
Trotz Einschränkungen uneingeschränkt wertvoll
Egal, ob jemand in einem Rollstuhl sitzen muss, taub oder blind ist, von einer psychischen Krise in die nächste rutscht oder mit einer anderen Erkrankung konfrontiert ist – der Wert eines Menschen sitzt im Herzen und im Handeln!
Dies habe ich die letzten Jahre immer mehr verstanden – die letzten Jahre, in denen ich aufgrund meiner gesundheitlichen Verfassung nicht oben auf der (Karriere-)Leiter stand, sondern oft unten am Boden krauchte.
Für viele Menschen mag ich aufgrund dessen phasenweise ein wertloser Mensch der Gesellschaft gewesen sein. Doch für meinen Partner, meine Freunde und für meine drei Frettchen war und bin ich ein sehr wichtiger Mensch. Und für mich selbst wurde ich langsam auch immer etwas wertvoller – ob ich mich liebe, weiß ich selbst nicht so recht, aber immerhin hasse ich mich nicht mehr.
Das ich so für mich zu mittlerweile 90% denke und fühle, ist das Resultat meiner vergangenen drei Jahre – diese Denke konnte sich Dank meiner Therapie, der Beziehung zu meinem Freund und manch guten Freundschaften, meinen Selbsthilfegruppen und meinem Schreiben hier entwickeln.
Auf meinem Weg bin ich weitergekommen, zwar bin ich noch nicht am Ziel, doch ich bin unterwegs. In meinem Tempo, in meinem Zerknittert-Sein und in meiner seelischen Unordnung. Und das ist völlig okay.
Und so kam es,
dass ich in den vergangenen zehn Tagen, nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde,
oft auf der Couch lag,
eines meiner Frettchen auf dem Arm hatte
und eine Art der Zufriedenheit fühlte.
Mit all dem, was ich NICHT bin, bin ich ganz viel.
Ich bin ICH.
Mit MEINEN Träumen, MEINEN Zielen und MEINEN Erwartungen.
Es gibt sie noch: Momente, die mich sentimental werden lassen und zu Tränen rühren – aus Freude und aus Trauer. Das ist LEBEN. Vergangene Tage habe ich in meinem kränklich-nach-der-OP-sein GELEBT.
Und ich weiß, dass ich weiter LEBEN möchte und auch werde.
Diese Erfahrungen wünsche ich auch Euch von Herzen.
Wir sind richtig wie wir sind und viel mehr als okay.
DENN TROTZ ALL UNSERER EINSCHRÄNKUNGEN SIND WIR UNEINGESCHRÄNKT WERTVOLL!