In der ersten großen Visite während der medizinischen Reha, vor 5 Wochen, wurde ich gefragt, ob ich suizidale Gedanken hätte. Ich verneinte dies. Und es war wahr. Glaube ich. Ich hatte bis dato eher solche Was-wäre-wenn-Gedanken … doch in den letzten Jahren kaum die Absicht, mir wirklich was anzutun. Zudem begründete ich es während des Gespräches mit dem Oberarzt damit, dass ich inzwischen Angst vorm Tod habe …
Angst vorm Tod vs. Angst vorm Leben
Und auch das war wahr. Ich habe Angst vor dem Prozess des Sterbens und ich habe Angst, einmal tot zu sein. Niemand weiß, was dann ist. Niemand weiß, ob es die Hölle gibt oder ob wir alle auf ner Wolke vor uns herschweben. Dieses Nicht-Wissen macht mir Angst.
In Bezug auf meine beiden Trauerfälle habe ich diese kitschige Vorstellung – ich glaube, dass meine Oma und mein Kind auf ihren Wolken sitzen und dass es ihnen gut geht. Das hilft mir, ohne sie hier weiterzuleben. Zumindest etwas.
Doch seit einigen Tagen ist meine Stimmung total gekippt. Ich habe Gedanken, die ich nicht haben will. Druck, der mir die Luft raubt. Gefühle, die ich nicht fassen kann. Ich fühle mich in mir selbst durch mich erdrückt und zugleich zerrissen. Ich weiß nicht mehr, was ich will. Ich weiß nicht mehr, wohin ich will … ich weiß nicht mehr, warum ich was wollte …
… und alles in mir schreit, schluchzt und stampft wütend mit dem Fuß auf, während ich nach außen ruhig und leise bin.
„Ja, mir geht´s gut.“, habe ich heute etwa 7 mal zu anderen Menschen gesagt … doch nicht einmal so gemeint …
Ich habe Heimweh …
… und ich dachte, es wäre das „normale“ Heimweh. Ich vermisse meinen Freund und meine Tiere. Ich vermisse deren Liebe und Geborgenheit. Ich vermisse unsere Wohnung als meine Schutzhöhle. Ich vermisse unser Bett, was kuschelig weich und vor allem groß ist. Ich vermisse mein Zuhause.
Doch eigentlich vermisse ich viel mehr … eigentlich habe ich ein ganz anderes Heimweh …
Ich vermisse das Leben, was ich doch eigentlich führen sollte und wollte.
Ich vermisse eine liebevolle Familie, die es früher doch hätte geben müssen und ich vermisse meine Familie, die ich doch eigentlich seit ein paar Jahren hätte haben sollen …
Ich vermisse die Liebe meiner Oma. Sie war ein Teil meines Herzen, was nun leer und dunkel vor sich hinwelkt. Ich vermisse ihr Lachen und ihre Umarmung.
Ich habe Heimweh nach der Vorstellung meines Selbst – einem gelassenen, in sich zufriedenen, etwas selbst-geliebten und selbst wert-geschätzten ICH. Ich vermisse einen Frieden in mir, den ich nur vom Reden kenne.
In der freien Gestaltung ist heute dieser Knoten in mir geplatzt. Still und Leise. Beim Malen des Bildes, was hier das Beitragsbild ist … das Projekt „Semikolon“ steht dafür, dass doch unsere Geschichte noch nicht zu Ende ist, auch wenn wir das Gefühl oder den Eindruck dessen haben. Man muss bei einem Satz nicht immer gleich einen Punkt setzen – es könnte auch ein Semikolon sein und der Satz geht weiter …
„Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende …“, so auch der Leitsatz dieses Projektes … mein Leben ist noch nicht zu Ende … doch glaube ich das, was ich denke?
Gedanken … warum glaube ich den einen und nicht den anderen?
Es gibt Gedanken, denen ich Glauben schenke, obwohl sie ziemlich unwahrscheinlich sind: Katastrophengedanken, dass den Menschen, die ich mag, oder meinen Tieren etwas passiert. Das baut sich auf, wie in einem Film. Und dieser Film zieht so oft vor meinen Augen daher. Oft glaube ich auch, dass andere in der Beziehung zu mir nicht glücklich sind. Das es ihnen besser geht, wenn sie ohne mich wären. Ich glaube, dass ich für viele eine Belastung bin. Oft glaube ich, dass ich nicht mehr kann …
Und dann denk ich daran, was ich habe und wer doch alles zu mir steht. Ich denke daran, dass ich doch ein berufliches Ziel habe. Ich denke daran, dass ich doch auch einen wiedergefundenen Traum hatte, den ich verwirklichen wollte.
Ich erinnere mich der Zeiten, die nach einer Krise kamen. Es waren immerhin zwischendurch Tage, in denen ich auch mal ehrlich gelacht habe, in denen ich Freude und Liebe gespürt habe.
Ich erinnere mich daran, dass ich schon so manches Mal gedacht habe „Es ist schön, dass ich noch lebe!“
Ja, dass habe ich so manches mal gedacht … doch jetzt und heute … ist das alles so weit weg … als ob das gar nicht ich war, die das dachte. Als ob ich mich in eine Figur aus einem Roman so sehr hineinversetzt habe, die das dachte.
Ich bin mir fremd geworden. Auch seit ein paar Tagen … ich seh im Spiegel nicht aus wie ich. Ich fühl mich wie verkleidet in meinen Lieblingsklamotten. Überhaupt ist mein ganzes Umfeld wie ein reinstes Bühnenstück, so furchtbar unreal. Meine eigenen Texte hier kommen mir fremd vor, ich kann nicht glauben, dass sie von mir sind …
Und auch wenn ich weiß, dass ich hier „richtig“ bin und alles real ist … so fühle ich mich falsch … falsch im Hier und falsch in mir …
„Ich habe Angst vorm Sterben.“, sagte ich also vor einigen Wochen. Doch jetzt ist es genau der derzeitige Zustand, vor dem ich Angst hatte. Der Zustand, in dem alles so doll über mich einkracht … der Zustand, in dem ich mich in mir selbst verliere … in dem ich mich so unsagbar einsam in mir fühle… so verloren …
Da ist die Angst vorm Sterben nicht mehr groß …
Die Erinnerung, dass auch wieder andere Tage kommen, rufe ich mir ins Gedächtnis.
Aushalten ist jetzt meine einzige Strategie. Und weinen. Konnte ich seit mehreren Wochen nicht weinen, ist es während des Schreibens etwas rausgepoltert. Ebenso wie die Worte. Es liest sich vielleicht nicht so schön oder strukturiert wie die anderen Beiträge.
Doch so ist es halt derzeit in mir. Chaotisch unaufgeräumt kalt.
Auch das muss ich jetzt irgendwie aushalten.
Und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Ich weiß, dass es vielen anderen auch so geht. Mich tröstet dies gerade nur bedingt – Gedanken, die man nicht fühlt, sind ganz schön fremd.
Gedanken … inwieweit darf ich alles glauben, was ich denke?
7 Kommentare zu „Glaube ich das, was ich denke?“
Hallödele,
für mich als vormals Betroffener sind diese hochsuggestiven Texte schwierig. Warum? Weil aus denen -zumindest nach meiner Lesart- nicht wirklich hervorgeht welche Einstellung sie zu ihrer Krankheit haben, von der ich gerne wüsste, was sie WIRKLICH für Sie ist. Wobei es natürlich sein kann, dass ich Ihre Texte schlicht nicht verstehe -was ich eigentlich aber sollte. In der Summe bin ich ein bisschen ratlos., vielleicht auch frustriert, weil „gerade ich“ verstehen müsste, was sie hier tun (und womit sie vielen Menschen sicher helfen).
Gr.
Gruß
Hallo Nora,
ich fasziniert von deiner Art wie du schreibst und wie du deine Gedanken präsentierst und hier niederschreibst. Ich lese hin und wieder etwas von dir, seit zwei Monaten das erste mal wieder und ich weine beim Lesen, weil ich so gerührt bin und mich so angesprochen fühle.
Ich frage mich täglich, ob ich meine Gedanken glauben soll, denn sie sind sehr schädlich und nehmen mir die Kraft und Energie. Aber das ungesunde Ego ist stärker und somit schenke ich den Gedanken meinen Glauben.
Vielen Dank.
Liebe Claudia,
vielen Dank für Deine Zeilen.
Ja, das ungesunde ist oft stärker und einnehmender – es ist nur allzu logisch, dass wir dadurch dieser starken Macht mehr Glauben schenken, als der kleinen piepsigen Stimme in uns, die doch eigentlich gesund ist. Mit positiven Affirmationen (Autosuggestion) habe ich angefangen, mir nach und nach positive Sätze zu sagen – auch wenn ich diese anfangs natürlich nicht glaubte. Teilweise heute noch nicht. Doch im Großen und Ganzen kann ich auf jeden Fall sagen, dass dies wirkt und die bösen negativen Stimmen dadurch an Macht verlieren. Vielleicht ist dies auch ein Weg für Dich?
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft und alles Gute,
liebe Grüße,
Nora
Als hättest du gerade einen Blick in mich und meinen momentanen Zustand geworfen und ihn dann in die Worte übertragen, die ich nicht mehr finde – bin wie stumm – erstarrte Lava und innen zerfetzt es mich gerade.
Danke von Herzen für diesen Text !
Ulla
Vielen Dank für Deine Zeilen, Ulla!
Ich wünsche Dir ganz viel Kraft, Mut und auch Hoffnung, dass Du Deine Krisen durchstehst!
Alles Liebe, Nora
Nora.
Blanke, schonungslose Offenheit.
Ich heb dich jetzt nicht aufs Podest von wegen megamutig, gnadenlos ehrlich, klar in der Wahrnehmung der zerrissenen Pole, die von einer auf die andere Äonensekunde hin und her zwurbeln.
Nora – das ist für mich ein Geschenk, ohne dass du das bezwecktest.
Es macht mir Mut.
Tatsächlich schreibe ich solche Texte in ähnlicher Intensität auch. In mein Tagebuch. Die Schmerzen, die dabei in mir auftauchen, lösen sich dann auch ab und an in Tränen.
So kommt durch hartes Umworteringen etwas ins Fließen.
Danach bin ich erschöpft, aber irgendwie gut.
Und es ist ein kleines bisschen leichter.
Und, Nora, glaub mir, du hast hier nicht nur mir, nein , unendlich vielen aus der Seele gesprochen. Einfach, indem du so gut du konntest bei dir warst und versucht hast, dieses ganze Chaos zu beschreiben.
Ich denke an dich.
Danke Klaus! Einfach nur Danke!