Ich bin voll. Voll mit Gefühlen meiner Trauer und Wut. Am liebsten würde ich mich mal richtig ausheulen, schluchzen, schreien und Sachen an die Wand schmeißen … doch ich kann nicht. Die Gefühle klemmen in mir fest.
Diagnose: Gefühlsverstopfung.
Ich weiß, dass ich diese Gefühle zwar grundsätzlich habe, doch ich fühle sie nicht. Sie stecken wie ein Knoten in meiner Brust fest. Üben Druck aus.
Seit fast zwei Wochen bin ich so in mir unvollständig. Mein Körper tappst durch die Welt, doch meine Gefühle habe ich auf irgendeinem Weg nach irgendwo verloren.
Ausdruckslose Augen starren mich im Spiegel an, auf der Suche nach mir selbst. Sie schauen durch mich hindurch, doch durchschauen mich nicht.
Ich bin nicht ganz da, der wesentliche Teil, der mich doch ausmacht, ist irgendwo in mir verschwunden.
Alles kommt mir fremd vor – ich mir selbst, als auch die Umgebung um mich herum
Es fühlt sich an, als wäre ich total angetrunken oder hätte bereits meine Schlaftablette genommen. Ich bin in mir taub, mir ist schwindlig, um mich herum ist alles schwummrig. Mir ist, als ob ich auf einem schaukeligen Schiff durch die Straßen gehe – alles ist wackelig.
Und während ich weiß, dass ich wach und am richtigen Ort bin, so ist mir doch, als träumte ich. Als sei alles um mich herum unreal.
Selbst wenn ich mich im Spiegel anschaue, komme ich mir fremd vor. Die Person, die mich da anguckt, bin nicht ich. Sie fühlt sich nicht wie mein Ich an!
Aktivierungsfehler: Die Verbindung zum Ich ist fehlgeschlagen – bitte überprüfen Sie Ihre Sicherheitseinstellungen!
Meine Therapeutin als auch mein Psychiater haben es mir schon mehrmals erklärt. Und auch wenn ich es kognitiv verstanden habe, so ist es dennoch schwer zu verstehen. Ich habe meine Gefühle von mir abgespalten, Fachleute reden auch gerne von Dissoziation, Derealisation (die Umgebung erscheint der Person unreal) und von Depersonalisation (man kommt sich selbst fremd vor).
Das Ganze ist ein Selbstschutz der Seele – sie lässt nur das an Gefühlen zu, was man gerade aushält. Und wenn sie meint, dieses und jenes Gefühl ist jetzt zu viel, zu belastend für die Person, dann spürt diese Person dieses Gefühl auch nicht.
Ich selbst kann es nicht beeinflussen, es geschieht so oft automatisch. Ich merke das meist erst, wenn mir bewusst wird, dass ich gerade nicht ganz da bin!
Und oftmals ist es auch hilfreich
Ich war beispielsweise vergangenes Wochenende auf dreifach verschiedene Weise mit meinem Trauer-Thema konfrontiert, habe aber nichts gefühlt. In dem Sinne war es super, weil einen Gefühlsausbruch hätte ich da mitten unter den anderen Menschen überhaupt nicht gebrauchen können.
Und so lange es in diesem Rahmen ist, ist es auch für mich okay mit umzugehen. Ich kann mich frei bewegen und mich dem Uhrwerk der Welt anpassen. Ich funktioniere.
Problematisch und wesentlich unangenehmer ist die Tatsache, dass dieses Knäuel in mir immer mehr drückt und ich kein Ventil habe, es herauszulassen. Es drückt mich nieder und gibt der Depression in mir eine Chance zum Leben … ich komme früh nur schlecht aus dem Bett und auch tagsüber mehr als schlecht in die Gänge. Müde. Ich bin einfach nur noch müde und erschöpft, und dass nach 10 Stunden Schlaf.
Ich schreibe, was ich denke, damit ich lese, was ich fühle
In manchen Fällen half es mir, einfach alles drauflos zu schreiben. Frei Schnauze, ohne Punkt und Komma, habe ich geschrieben und die vergangenen Tage/Stunden – je nachdem, seit wann dieser Zustand anhielt – rekonstruiert. Irgendwann stieß ich beim Schreiben dann auf einen Auslöser, eine Situation, ein Gespräch und kam damit dann auf ein Gefühl. Dieser Weg ist dann zu empfehlen, wenn man nicht weiß, was der Auslöser für die Dissoziation ist.
Dies hat mir jetzt nicht geholfen, was wohl mit daran liegt, dass ich ja weiß, dass es vor allem die Trauer ist, die in mir festklemmt. Ein Teil versperrt sich gegen diese und möchte partout nicht wahrhaben, dass da jemand gestorben ist.
Und so sitze ich wie unter einer Käseglocke und finde keinen Zugang. Weder zur Welt noch zu mir.
Watte … es ist, als ob mein Körper ausgestopft mit Watte ist, die mich nichts spüren lässt.
Wer bin ich in dem Moment, wo ich nicht ich selbst bin?
Bin ich?
4 Kommentare zu „Gefühlsverstopfung“
Das ist so mega schön geschrieben. Finde mich darin komplett wieder. Und was mir half, war auf alle Fälle meine tiefenpsychologisch fundierte Therapie, Achtsamkeitsübungen, Verneinung von Stress (klappt leider nicht immer) und wenn ich akut dissoziiere halfen Gespräche mit Freunden, feste gedrückt werden, eine kalte Dusche oder auch einfach versuchen sich abzulenken mit z.B. einem Film. Ansonsten ist es bei mir so das spätestens nach dem schlafengehen ich mich am nächsten Morgen wieder lebendiger fühle.
Lg Lisa
Hey,
das ist wahnsinnig toll geschrieben!!! Es beschreibt so vieles für was ich nie die passenden Worte finde!
Ich kenne das Gefühl „bewusst“ seid mittlerweile 14 Jahren, nur eine Lösung habe ich nicht denn sich beim Spazieren gehen zu erden, schreiben oder oder oder helfen nur bedingt, für einen kurzen Moment, doch Unterbewusst brodelt der Vulkan!
Lieben Gruß
Ich kenne das,es ist wie ein Burnout! Musik mit den Kopfhörer und witzige Video Filme schauen und nicht zu viel schlafen ,dann kommt man wieder langsam zu sich!
Sonnenstrahlen und viel frische Luft sowie gesundes Essen und viel Obst !
Stress und Ärger entfernen! Und die Schüssler Salze ,Mineralsalze nehmen,dann geht es wieder gut!
Hallo Alice,
vielen Dank für Deine Tipps! Einige werde ich mal ausprobieren – Schüssler Salze zum Beispiel und weniger schlafen :/
Wie entfernst Du für Dich Stress und Ärger, wenn er „einfach“ in Dir drin ist? Manche Erinnerungen verursachen ja beispielsweise Stress!?