Selbstverletzendes Verhalten – eine bizarre Überlebensstrategie

Seit meiner Kindheit verletze ich mich selbst. Anfangs war es das absichtliche Verbrennen an der heißen Herdplatte, das Schlagen mit dumpfen Gegenständen auf meine Knochen oder das Aufkratzen von Wunden.

Als Teenager griff ich zu Rasierklingen und schnitt mir nahezu jeden Tag in die Beine oder Arme. Mittlerweile habe ich mein Verhalten mehr unter Kontrolle, und es kommt nur noch ein- bis zweimal im Jahr zum selbstverletzenden Verhalten (SVV).

Zum SVV kommt es vor allem in Krisen. Wenn ich unglaublich traurig, wütend und verzweifelt bin. In solchen Momenten weiß ich nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Ich habe nicht gelernt, sie auf gesunde Art und Weise herauszulassen. Ich durfte es nicht.

Wut und Traurigkeit waren negative Gefühle in meiner Kindheit, die belächelt wurden – genau genommen, ist es heute noch so. „Sei doch nicht so sensibel!“ oder „Warum heulst Du schon wieder?“, waren Reaktionen, die mir das Gefühl vermittelten, meine Gefühle seien falsch und dürften nicht sein.

Ich verletze mich, damit ich mich nicht umbringe

Also ließ ich die Gefühle raus, wenn niemand es mitbekam. Ich richtete sie gegen mich selbst und tarnte die daraus resultierenden Wunden als „Unfall“, was auch funktionierte. Erst als die Narben durch die Selbstverletzungen mit der Rasierklinge nicht mehr zu überspielen waren, erzählte ich meinen Eltern die Wahrheit.

Für meine Familie und Freunde ist mein Verhalten überhaupt nicht nachvollziehbar. Für mich war und ist das selbstverletzende Verhalten bis heute eine bizarre Überlebensstrategie.

In Phasen tiefer Depression stehe ich oft neben mir. Häufig verschwimmt alles um mich herum, meine Gedanken liegen im Nebel und mein Körper scheint nicht mehr mein Körper zu sein. Ich fühle ihn nicht.

Ich fühle gar nichts – außer einer immensen Leere.

Zugleich ist in mir dieser gewaltige Druck, der mich einengt und mir das Atmen erschwert. Dieses Gefühl, die zermürbenden Gedanken – sie rauben mir die Kraft zum Leben, zum Weiterkämpfen und lösen in mir eine Todessehnsucht aus.

Nicht, weil ich sterben möchte, sondern weil ich nicht mehr leben kann.

Diese Suizidgedanken drängen sich mir auf, lassen mich nicht mehr los. Oft sehe ich keinen anderen Ausweg. Ich verfalle in eine geistige Starre. Ich versinke in einem Mix aus Traurigkeit, Leere und Verzweiflung wie in einem Strudel, aus dem ich nicht mehr herauszukommen scheine.

Der Gedanke erfasst mich wie eine zweite Haut, die sich mir wie eine fremde Macht überstülpt …

In solchen Momenten nehme ich die Rasierklinge – ich möchte diese zweite Haut nicht, sie schnürt mir die Luft ab und erstickt mich!

Schnitt! Das Gefühl der Befreiung kommt herausgekrochen und solange das Blut fließt, solange fühle ich mich frei und ungezwungen. Ich kann wieder atmen!

Solange, bis kein frisches Blut mehr rauskommt. Solange. Dann hat die Wut über diesen Einbruch ihren großen Auftritt in mir, und die zweite Haut scheint mein Selbst noch fester einzuschnüren …

Selbstverletzendes Verhalten – ein Teufelskreis

Erst Minuten oder Stunden später setzt der körperliche Schmerz ein, der mich ablenkt von meinen seelischen Schmerzen. Der körperliche Schmerz ist ein Sprachrohr für meine seelischen Schmerzen, ein Ventil. Anders kann ich ihnen keinen Ausdruck verleihen.

Und auch wenn mir das Selbstverletzen natürlich schadet, so bewahrt es mich vor unüberlegten Handlungen, die wesentlich schlimmer ausgehen würden – aus dem Fenster springen, zum Beispiel. Insofern hat es mich oft „beschützt“!

Mit dieser Aussage möchte ich keinesfalls ausdrücken, dass SVV etwas Positives ist. Das ist es nicht. Selbstverletzendes Verhalten hat einen Suchtcharakter, der mich früher immer wieder überfiel, auch wenn ich nicht suizidal war – es erschien mir als Lösungsstrategie für meinen inneren Druck, auch bei kleineren Problemen und allgemeinem Stress.

Und damit geriet ich in diesen Teufelskreis: Aufgebaute Anspannung und innerer Druck führten zu selbstverletzendem Verhalten. Ein Gefühl der Erleichterung breitet sich aus. Doch kurz darauf realisierte ich die Wunden, wodurch Wut und Scham über mein eigenes Verhalten entstand. Dies führte dazu, dass sich erneut Druck und Anspannung in mir aufbauten …

… und dann reichte nur ein kleiner, falscher Windhauch, der mich ins Wanken brachte, und ich griff erneut zur Rasierklinge …

Es gibt keine falschen, negativen Gefühle!

Mittlerweile verletze ich mich nicht mehr regelmäßig. Ich bin in Therapie und arbeite dort meine seelischen Schmerzen auf. Zudem lerne ich dort, was ich in meiner Kindheit nicht gelernt habe: Dass ich auch die sogenannten „negativen“ Gefühle haben darf.

Ich darf traurig, wütend und neidisch sein. Gefühle sind nicht falsch oder schlecht, sie haben auch immer etwas Positives an sich und wollen uns etwas sagen. Erst wenn wir sie nicht erkennen, rauslassen und verdrängen, werden sie zu einem Knäuel in uns, der uns lähmt – und der auf andere Art und Weise gelöst werden will.

Manch einer entwickelt ein Alkohol- oder Drogenproblem. Andere, wie ich, greifen zur Rasierklinge. Und dann gibt es noch die für mich beeindruckenden Menschen, die auf gesunde Weise lernen, mit ihren Gefühlknäueln umzugehen.

Alternativen, Hoffnung & Ich

Auch habe ich inzwischen Alternativen, sogenannte Skills gefunden, die ich statt des SVV anwenden kann. Diese lösen auch körperliche Reize aus, aber sie schaden mir nicht: Ein paar Minuten ohne Jacke an die kalte Winterluft, Eiswürfel in der Hand halten, auf eine Chili-Schote beißen, ein Haargummi am Handgelenk schnipsen lassen, Altglas mit Karacho in die Tonne werfen oder auch aufschreiben, was mich alles belastet.

Dennoch ist der Druck nach mehr noch oft da. Dieser Druck, mir in die Haut zu schneiden und mich zu zerstören.

Es fühlt sich so ähnlich an, wie wenn man mit dem Rauchen aufgehört hat und stattdessen einen Kaugummi kaut. Dieses Verlangen nach einer Zigarette, das überfällt einen noch einige Zeit. Bei einigen verschwindet es gänzlich, andere müssen lernen, damit zu leben.

Ich hoffe, dass ich mich und meine Handlungen irgendwann mehr unter Kontrolle habe. Mein großes Ziel: im Sommer kurzärmelig durch die Straßen gehen zu können. Denn das ist natürlich der weitere Nachteil – jeder sieht, dass ich mit mir und meinem Leben nicht so zurechtkomme wie andere, und dass ich Verhaltensweisen habe, die krankhaft sind.

Doch auch wenn meine Narben für immer da sind, so hoffe ich, dass „es“ irgendwann mal okay ist.

Ich hoffe, dass ich selbst für mich irgendwann mal okay bin!

Edit 2017: Seit dem Sommer 2016 gehe ich kurzärmelig aus dem Haus. Zwar noch nicht zu 100%, dennoch war/ist dieser Schritt schon wahnsinnig befreiend – und irgendwann verschwinden auch die Stulpen 😉

Bildquelle – Beitragsbild: pixabay.com

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Erfahrungen & Bewertungen zu Nora Fieling

15 Kommentare zu „Selbstverletzendes Verhalten – eine bizarre Überlebensstrategie“

  1. Pingback: Selbstverletzendes Verhalten – eine Betroffene berichtet – psy-news

  2. Hallo Nora,

    Finde es super das du jetzt Therapie machst und das dir einige skills helfen.
    Auch ich kenne leider dieses Gefühl, den Druck sich etwas anzutun.
    Doch als ich damals Therapie gemacht habe, haben mir die skills von meiner Therapeutin leider nicht geholfen, die Schnitte wurden immer tiefer und schlimmer. Irgendwann war es so heftig das mein ganzer Körper verletzt war und der Druck war immer noch da. Ich wusste keinen anderen Ausweg als eine Überdosis meiner medis zu nehmen.

    Doch jetzt einige Jahre später habe ich kein svv mehr, da mein Sohn auf die Welt kam und ich jetzt eine große Aufgabe habe.

    Sicher ab und zu habe ich den Druck wieder aber dann habe ich eine Nummer wo ich immer anrufen kann.

    Finde es echt super wie du das alles in so tolle Worte fassen kannst.

    Möge dir die Therapie viel bringen und das du irgendwann jeden Sommer kurzärmlig rum laufen kannst. Drücke dir ganz fest die Daumen, das du mit dieser Krankheit irgendwann super Leben kannst ohne svv.

    Sende dir ganz viel Kraft und Geduld

  3. „Ich darf traurig, wütend und neidisch sein. Gefühle sind nicht falsch oder schlecht, sie haben auch immer etwas Positives an sich und wollen uns etwas sagen.“

    Diese Sätze gefallen mir besonders. Gerade in unserer Gesellschaft in der Perfektionismus so wichtig zu sein scheint. Man darf nicht neidisch auf den Erfolg eines anderen sein, auch für Traurigkeit gibt es keine Zeit. Gefühle sind in meinen Augen nicht umsonst da, wieso sollten sie falsch sein, wenn wir sie doch fühlen. Sie gehören dazu wie alles andere. Zum Menschsein. Das zu verteufeln oder anderen austreiben zu wollen ist unverständlich.

    Danke für Deinen Blog! Habe ihn gerade entdeckt und werde mit Sicherheit wiederkommen. Vielleicht hilft er mir und hilft mir nach Jahren doch mal Hilfe zu suchen.

  4. Pingback: Als ich dachte, ich werde keine 18 Jahre alt | Aktuelle Nachrichten

  5. Hallo Nora,

    vielen Dank für diese Beitrag; ich habe ihn in einem Nachrichtenportal gelesen und bin so auf deinen Blog gestoßen. Ich finde, Du beschreibst die Gefühle vor und nach dem verletzen sehr gut. Ich z.b. verletze mich hauptsächlich nur auf der Arbeit in eigentlich ,,normalen“ stress Situationen oder wenn ich nen fehler gemacht habe, was als Azubi doch total normal ist. Ich bin 18 Jahre alt, bekam in November letzten Jahres die Diagnose Borderline und fange nächsten Donnerstag mit einer Therapie an.. Ich bin wirklich skeptisch. Hauptsächlich mach ichs wegen meinen Eltern um sie nicht noch mehr zu enttäuschen aber vllt denke ich auch noch um und es hilft mir. Es gibt so Situationen, da kann ich einfach nicht mehr. Sie kommen so plötzlich, als ob Du einmal schnipst und schwups, hat sich meine Laune um 180° gewendet. Vllt ändert sich das, vllt nicht. Mal schauen. Ich finde deinen Blog auf jedenfall richtig gut!

    Lieben Gruss

    Melina

    1. Liebe Melina,

      vielen Dank für Deine offenen Worte!

      Darf ich fragen, was Du für eine Therapie machst – also Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierte Therapie? Dass Du grundsätzlich skeptisch bist, kann ich absolut nachvollziehen. Ich war auch mit 18 Jahren das erste Mal in Therapie und konnte mir partout nicht vorstellen, dass mir ein Therapeut helfen kann. Nun, 13 Jahre später, habe ich verschiedene Psychotherapeuten kennengelernt, war im Krankenhaus, mehrmals in einer Tagesklinik und bin weiter in einer ambulanten Therapie. Ich kann von mir sagen, dass dies der richtige Weg ist, dass ich mich immer mehr verstehe und Zusammenhänge erkenne.

      Warum schreibe ich Dir das jetzt? – Ich möchte Dir Mut machen für einen Weg, der ausweglos erscheint. Ich wünsche Dir, dass Du Vertrauen zum Therapeuten entwickeln kannst, lernst Dich anzunehmen (auch mit ein paar Fehlern) und vor allem wünsche ich Dir, dass Du erkennen kannst, dass Du die Therapie für DICH machst und nicht, weil es irgendjemand von Dir erwartet oder weil Du niemanden enttäuschen möchtest!

      Ich hoffe auch, dass Dich Deine Eltern oder Freunde auf Deinem Weg unterstützen, damit Du nicht total alleine mit Dir und in Deinem Gefühl bist!

      Ich wünsche Dir alles Gute und ganz viel Kraft und Hoffnung für Deinen Weg!

      Liebe Grüße,
      Nora

  6. Hallo Nora,

    mir hilft Schreiben auch sehr. Ich würde auch gerne einen Blog anfangen.
    SvV kenne ich wie Du seit meiner Kindheit und als Jugendliche hat das Ritzen/ Schneiden begonnen. Sobald ich intensiv an den Traumata arbeite, kommt ein Anteil in mir, der das verhindern möchte und den Körper verletzen will. Das ist schwierig für mich, damit umzugehen, denn dieser Anteil möchte es gar nicht lassen.
    Wenn „ich“ noch da bin, klappt skillen sehr gut. Aber wenn ich in diesen Täteranteil switche, verliere ich den Willen.

    Du hast es sehr gut beschrieben!

    Liebe Grüße
    Anna

    1. Liebe Anna,

      vielen Dank für Deine Zeilen. Ja, es ist ein hartes Unterfangen :/ Mit dem SVV hält es sich bei mir inzwischen in Grenzen, doch wenn ich ans Eingemachte gehe, spalte ich die Gefühle ab, sodass ich dann auch nicht viel damit anfangen kann – weißt, wie ich meine?

      Bist Du in einer Trauma-Therapie oder ähnlichem?

      Liebe Grüße, Nora

  7. Das ist sehr schön beschrieben. Finde mich in vielen Sätzen wieder.

    Besonders deine Schlussworte beschäftigen mich gerade. Die Narben unverhüllt in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ich habe diesbezüglich eine gewisse Differenzierung bei mir festgestellt. Ich habe kein Problem damit, meine Narben, verräterische Pflaster und Verbände in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wenn ich mit meinem Hund unterwegs bin, wenn ich einkaufen gehe, wenn ich in eine Bar gehe, wenn ich schwimmen gehe, usw. Meinetwegen können alle anderen das sehen und sich ihren Teil dazu denken.
    Für mich problematisch wird es erst, wenn es um Familie, Freunde, Kollegen geht.

    Differenzierst du diesbezüglich auch in gewisser Weise?

    Liebe Grüße

    Alice

    1. Hi Alice,

      Danke schön!

      Also, in fremden Ländern oder auch deutschen Städten, wo ich niemanden kenne, laufe ich schon kurzärmelig rum. Das aber auch erst seit 3 oder 4 Jahren. Dort ist es mir relativ egal, was die Menschen denken. Das Starren verunsichert mich zwar, aber ich durfte auch oft die Erfahrung machen, dass meine Arme gar nicht so sehr ein Blickfang waren, wie ich befürchtete.

      In Berlin und anderen deutschen Orten, wo ich Menschen kenne, traue ich mich das nicht. In den vier Wänden meiner Eltern trage ich kurzärmelig, meine beiden Geschwister plus Mann kennen auch meine Arme. Und nur mit zwei Freundinnen war ich mal schwimmen – ist aber auch schon wieder Jahre her. Auch meine Schwiegereltern bzw. die ganze Familie meines Freundes kennt mich nur mit langärmelig … dort traue ich mich einfach nicht, obwohl ich gerade bei meinen Schwiegereltern denke (die von meiner Problematik oder auch meiner psychischen Erkrankung wissen) davon ausgehen darf, dass sie mich weiterhin so nett behandeln, wie jetzt.

      Für mich ist auch gerade bei Menschen, die ich wirklich mag, die Hemmschwelle am größten – und eigentlich ist das blöd. Denn ich würde sagen, dass die meisten von ihnen mich wg. meiner Narben nicht verurteilen würden. Machen meine Geschwister ja auch nicht …

      Aber wer meine Arme sieht, der blickt ein stückweit in meine Seele … und ich fühle mich vollkommen nackt :/

      Wissen die Leute in Deinem Umfeld, bei denen Du langärmelig trägst, von Deiner Problematik oder hast Du irgendwelche Ausreden? Wie ist da die Reaktion, also, wenn sie wissen, was der ehrliche Grund für Dein Tragen von langärmeliger Kleidung im Sommer ist?

      Liebe Grüße,

      Nora

      1. Also meine Kollegen wissen nichts darüber. Wenn es in der Arbeit zu Situationen kommt, in denen ich kurzärmelig unterwegs bin, dann verstecke ich meine Narben anderweitig. Zum Beispiel durch viele breite Armbänder. Habe im Laufe der Jahre einige Accessoires angesammelt, die einerseits sehr gut abdecken und andererseits nicht negativ auffallen.

        Bei Freunden kommt es darauf an. Meine engsten Freunde wissen davon. Andere Freunde, die mir nicht so nahe stehen, wissen nichts darüber. Ich präsentiere sie ihnen zwar nicht, aber ich achte auch nicht so stark darauf, sie vor ihnen zu verstecken. Also es gab schon einige Situationen, in denen sie zu sehen waren. Bisher hat aber noch Niemand von ihnen etwas dazu gesagt. Mir sind auch keine unangenehmen Blicke von ihnen aufgefallen. Also entweder haben sie es tatsächlich nicht wahrgenommen oder es ist ihnen zwar aufgefallen, aber sie wollten nicht über den Ursprung nachdenken, bzw. danach fragen.

        Und bei meiner Familie… Sie wissen davon. Sie verstehen es auch. Aber ich habe das Gefühl, als würde es ihnen sehr weh tun, zu sehen, wie sehr ihr Kind gelitten hat / leidet. Deshalb versuche ich auch eher, meine Narben ihnen gegenüber nicht so offen zu zeigen. Es kommt mir ihnen gegenüber wie eine Anklage meinerseits vor.Verstehst du, was ich meine?

        Allgemein habe ich den Eindruck, dass viele Menschen eher schweigen, als einen auf die Narben anzusprechen. Ich habe einige Bekannte, deren Arme sehr stark betroffen sind und diese auch in der Öffentlichkeit immer wieder zeigen. Sie wurden noch nie darauf angesprochen. Die Leute verhielten sich so, als könnten sie es nicht sehen.

        Ich glaube, oft wollen sie es einfach nicht wissen. Sie verdrängen den Anblick, bzw. reden sich ein, die Person hätte einen Unfall gehabt, obwohl offensichtlich ist, dass die Narben selbst zugefügt sind. Denn sie wissen nicht, wie sie sonst damit umgehen sollen. Und ich kann es auch verstehen.

        Ist es dir schon mal passiert, dass dir Jemand begegnet ist, der offensichtlich selbst zugefügte Narben hatte? Keine Freundin, sondern z.B. ein Kollege, ein Nachbar, die Freundin eines Bekannten…. Also Niemand, dem du nahe stehst. Was hast du in der Situation gedacht, bzw. wie hast du dich verhalten? Oder hypothetisch gesehen, wie würdest du wohl?

        Liebe Grüße

        1. Hi Alice,

          also, ich habe einige in meinem Freundeskreis, die Narben von SVV haben. Deine Frage bezog sich ja auf Nicht-Freunde … also, bei Kollegen, Nachbarn oder so ist da niemand mit solchen Problemen dabei. Zumindest nicht für mich ersichtlich. Im Sommer, aber auch eher selten, habe ich manch fremde Menschen in der S- oder U-Bahn mit Narben an den Armen die eindeutig sind, gesehen. Was ich gemacht habe oder am liebsten gemacht hätte? Ich habe hingesehen, nicht gestarrt … mir tat es weh, dass da jemand steht, der auch dies als Ausweg sieht. Zugleich fand ich es total mutig, die Arme einfach so zu zeigen, als sei da nichts. Einer Patientin, die kurz vor mir aus der Praxis meines Psychiaters gegangen ist, hätte ich das am liebsten gesagt – wie mutig ich das von ihr finde. Habe ich aber nicht. Wahrscheinlich aus Angst, weil es mir unangenehm gewesen wäre … oder auch, weil ich dachte, dass dies vllt. grenzüberschreitend gewesen wäre.

          Andererseits, wenn mir jmd. so etwas sagen würde, würde mich das vllt. noch mehr ermutigen. Auch zu wissen, da ist jmd. der das Thema kennt, wahrscheinlich von sich selbst, wodurch ich mich weniger alleine mit diesem Problem fühlen würde …

          Wie ist es bei Dir? Hast Du jmd. fremdes schon mal auf seine Narben drauf angesprochen?

  8. Hallo Nora,
    auch ich hoffe, dass ich irgendwann herausfinde wieso ich das mit den Rasierklingen mache.
    Bei mir ist das jetzt schon eine Weile her, aber es ist wieder da. Das Gefühl der inneren Anspannung und der Druck war wohl in letzter Zeit zuviel. Ich bin entsetzt über mein Verhalten. Mir geht es seitdem aber deutlich besser. Der innere Raum hat sich vergrössert mehr Platz zum atmen. Ich kann das nicht so gut wie du beschreiben. Es macht mich halt traurig, dass man kein anderes Ventil findet wenn der Wunsch sich so zu verletzen einen so überflutet. Ich wünsche dir viel Kraft auf deinem Weg und einen selbstbewussten Sommer mit kurzen Ärmeln und was andere denken, kannst du nicht beeinflussen. Auch wünsche ich dir Menschen an deiner Seite, die dich so akzeptieren wie du bist.
    LG
    Andrea

    1. Hallo Andrea,

      vielen Dank für Deine Wünsche – ein paar liebe Menschen darf ich glücklicherweise an meiner Seite wissen!

      Von Skill-Listen, also, Alternativen zum SVV, hast Du sicher schon gehört, oder? (z.B. http://starflake.jimdo.com/skills/)

      Bei mir hat es auch lange gedauert, bis ich lernte mein Verhalten zu ändern … doch man kann es lernen! Damit möchte ich Dir gerne Mut machen! Mir persönlich hilft das Schreiben. Nicht nur hier auf und für den Blog, sondern vieles auch einfach nur für mich. Auf dem Papier rauslassen, was mich alles bedrückt und ärgert, traurig macht und verzweifeln lässt. Dies jedoch nicht erst, wenn ich bei Anspannung 100 bin, sondern schon vorher. Jeden Tag ein bisschen zum Beispiel.

      Hast Du therapeutische Unterstützung? Dies hat bei mir dazu beigetragen, dass ich mein Leben mit einem Gegenüber besser reflektieren konnte, herausfand, was mich konkret belastet und vor allem lernen, was ich alles darf (vermeintlich negative Gefühle haben z.B.).

      Ich setze auch viel auf Selbsthilfegruppen – ich hätte es anfangs nie gedacht, doch sie können eine Therapie sehr wertvoll ergänzen! Vielleicht findest Du auch ein DBT-Angebot in Deiner Nähe!? Dort lernt man, seine innere Anspannung zu erkennen, rauszulassen und besser mit ihr umgehen zu können. Auch STEPPS ist ein hilfreiches Therapie-Programm, welches DBT-Teile beinhaltet.

      Ich weiß nicht, was Du kennst oder schon ausprobiert hast, deswegen hab ich jetzt so einige Sachen hier aufgelistet. Wenn du möchtest, können wir uns gerne auch per Mail nochmal austauschen!? (kontakt@nora-fieling.de)

      Liebe Grüße und ganz viel Kraft sendet Dir,

      Nora

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