
Jemand bringt sich um oder hat einen Versuch dessen unternommen – und alle Welt fragt sich „Warum?“! Warum hat er das gemacht? Warum hat er mir das angetan? Warum wollte er nicht mehr leben?
Die Menschen fragen soviel nach einem „Warum“ … warum weinst Du, warum bist Du traurig, warum bist Du ängstlich, warum bist Du so angespannt …
Ich kann die ganzen Warum-Fragen verstehen und nachvollziehen, immerhin stelle ich mir und anderen auch oft Warum-Fragen. Doch was mir gewaltig auf den Sack geht mich extremst nervt, ist die Tatsache, dass die meisten mir garnicht wirklich zuhören!
Die Depression bringt es mit sich, dass auch ich hin und wieder mit suizidialen Gedanken zu kämpfen habe. Außer meiner Therapeutin und meinem Psychiater thematisiere ich das Thema höchstens mit meinem Freund oder in meiner Selbsthilfegruppe. Und solange es keine konkreten Absichten sind, sondern „nur“ solche „was-wäre-wenn-ich-aus-dem-Fenster-springen-würde-Gedanken“ ist das auch (für mich zumindest) im Rahmen.
Schlimmer sind die Momente, wo ich wirklich am liebsten sterben möchte. Momente, wo ich denke, ich kann einfach nicht mehr!
Suizid. – Warum? Die Frage ist am lautesten, wenn es zu spät ist. Wenn jemand sein Leben beendet hat.
Nun, auch wenn ich die letzten Jahre keinen Suizidversuch unternommen habe, werde ich mit Warum-Fragen bombardiert – im gleichen Atemzug kommen jedoch auch Erklärungen, warum es doch eigentlich nicht so sein dürfte:
Warum bist Du traurig – Du hast doch so viel schönes um Dich herum!?
Warum fühlst Du Dich minderwertig – Du bist doch ein hübsches Mädel!?
Warum weinst Du – da brauch man doch nicht so sensibel sein!?
Warum hast Du davor Angst – dass packste doch mit links!?
Warum beschäftigt Dich das Ereignis von vor 10 Jahren immer noch – es ist doch schon so lange her!?
Die Fragen finde ich an und für sich okay … nachvollziehbar! Doch die Art und Weise, die Erklärungsversuche der Fragesteller setzen mich unter Druck, als ob ich deswegen die Fröhlichkeit in Person sein müsste!
Die Antworten, die die Menschen in ihre Fragen mit einbauen, sind nicht unbedingt unwahr. Ich habe viel schönes in meinem Leben, ich bin nicht hässlich und ja, viele belastende Sachen sind schon Jahrzehnte her. Vom Kopf her weiß ich das … dennoch habe ich meine nicht enden wollenden Gedankenschleifen und vor allem meine Gefühle.
Trotz allem fühle ich mich sehr oft traurig, verlassen, einsam, leer, tot, angespannt, minderwertig, ängstlich … und unter vielen Menschen in mir selbst isoliert! Trotz allem bin ich nun mal krank und leide an Depressionen!
Doch während ich sowas sagte, sah ich, wie immer mehr Unverständnis in die Augen meines Gegenübers stiegen.
Dass mich die (vermeintlich) gesunden Menschen nicht verstehen, ist überhaupt nicht schlimm. Schlimm ist, wenn Abwertung und kränkende Aussagen hinzukommen, die mich dazu nötigen, meine Gefühle zu rechtfertigen. Und selbst darauf folgen Diskussionen, in denen ich spüre, dass mein Gegenüber mir garnicht zuhören möchte … und ich fange an, die Tür zu meinem Inneren immer mehr zu verschließen.
Also schweige ich.
Ich habe mir angewöhnt, nicht zu sagen, wie ich mich fühle oder aber ich lüge und gebe vor, dass alles super ist. Ich spiele den anderen eine halbwegs glückliche Person vor, habe von morgens bis abends eine Maske auf, die mein tiefstes, schwarzes Inneres verdeckt. Es kommt zum Spagat zwischen dem was ich fühle und dem, was ich nach außen hin vorgebe zu fühlen.
Und so baut sich langsam aber stetig ein immenser Druck in mir auf, verursacht durch Gefühle und Gedanken, über die ich mit kaum jemandem reden kann.
Irgendwann wird das alles zu viel. Der Spagat klappt nicht mehr. Er ist nicht mehr aushaltbar.
Es ist nicht so, dass ich nicht mehr leben will
Im Gegenteil – ich möchte mich frei und leicht fühlen. Ich möchte leben.
Was ich nicht will, sind diese unerträglichen Gefühle die schmerzen wie 1000000 Nadelstiche. Was ich nicht will sind dann Menschen, die noch meinen, ich solle mich mal nicht so anstellen … „ist doch alles schon so lange her … ist doch alles nicht so schlimm …“. Was ich nicht möchte sind Menschen, die meinen, ich soll mich doch mal zusammenreißen und damit klar kommen …
Was ich nicht will, sind dann Suizidgedanken. Doch unaufhaltsam kommen sie und werden stärker. Nicht weil ich nicht mehr leben will, sondern weil ich mehr Angst vorm Leben als vorm Sterben habe … weil ich nicht mehr kann …
Und alle Welt wird sich dann fragen – Warum?
Und nun frag ich: Warum?
Warum hört ihr mir nicht jetzt zu?
Warum nehmt ihr mich nicht jetzt an?
Warum akzeptiert ihr nicht jetzt, dass ich diese Gefühle habe?
Warum hinterfragt ihr nicht jetzt mein Schweigen?
Es wird oft geschrieben, dass man das Thema Suizid und Depression mehr ansprechen und mehr publik machen müsse, damit es bald keine Tabu-Themen mehr sind und man Suizide verhindern kann.
Doch es wird schon ziemlich oft thematisiert! Es gibt Aufklärungskampagnen, Bücher und dank dem Internet hat man Zugriff auf hunderte von Seiten, auf denen man sich über Depressionen und andere psychische Krankheiten belesen kann.
Zudem gibt es Betroffene, die darüber offen reden oder zumindest Andeutungen machen!
Was fehlt, dass sind die unmittelbaren Menschen, die ohne Bewertung einfach nur zuhören, akzeptieren und Verständnis zeigen!
Menschen, wie Eltern, Partner, Kinder, Verwandte, Freunde, Kollegen, Vorgesetzte, Nachbarn …
Es fehlen Menschen, die jetzt fragen, warum man man sich schlecht fühlt. Die jetzt fragen, warum man so still in sich gekehrt sind. Die jetzt fragen, was man brauch um weiterleben zu können – und keine Menschen, die erst dann laut aufschreien, wenn der jeweils andere nicht mehr antworten kann.
Und daher frage ich: Warum müssen sich Menschen erst etwas antun, ehe andere bereit sind ihnen zuzuhören?
P.S.: Ihr lieben Menschen, die ihr auch so ein zerreißendes Heimweh spürt – ich wünsche Euch Kraft und Mut, Euren Weg in der Welt weiter zu gehen. Vor allem wünsche ich Euch Hoffnung, dass ihr das Leben auf Erden wiederfindet. Ich wünsche Euch, dass ihr Euch anderen Menschen anvertrauen könnt und Unterstützung erfahrt.
Eine Übersicht zu Krisenanlaufstellen nach PLZ sortiert findet ihr hier: Krisenanlaufstellen
Ich weiß, dass man dies in den dunkelsten Stunden nicht glauben kann und oft auch nicht hören möchte … ich weiß aus eigener Erfahrung, wie dunkel, schwer, leer und kalt Gefühle sein können … Inzwischen weiß ich jedoch auch, dass ich froh darüber bin, dass mein Versuch damals nicht funktioniert hat und dass ich den Weg zu mir und meinem Leben wieder gefunden habe.
Ich wünsche mir so sehr, dass dies Euch etwas Kraft und Hoffnung gibt. – Ich wünsche Euch von Herzen, dass auch ihr den Weg zu Euch und Eurem Leben wiederfindet!