Seit Herbst 2012 bin ich nun regelmäßig bei meinem Psychiater. Lange Zeit, etwa die ersten 2 Jahre, sah ich in ihm keinen Mann, nicht mal einen Menschen. Er war für mich eine Figur, die in ihrem Verhalten perfekt war, die mich zu verstehen schien und die mir in jedem Gespräch einen Anstupser zum Nachdenken mitgab. Die Termine bei ihm waren für mich sehr effektiv und ich fühlte mich gut bei ihm aufgehoben.
Im Dezember 2014 musste ich erkennen, dass auch mein Psychiater nur ein Mensch ist. – Ein Mensch mit Fehlern. Ein Mensch mit Macken. Ein Mensch, der sich auch mal unglücklich ausdrückt.
Damals war ich in einer Krise und sah keinen Ausweg. Mal wieder wusste ich nicht, wie es weitergehen sollte. Den letzten Termin bei ihm (ein paar Monate vorher) hatte ich abgesagt, da ich mich nicht traute zu ihm zu gehen. Mich quälten zu der Zeit Suizidgedanken und ich befürchtete, dass er mich aufgrund dessen einweisen würde.
Nun saß ich also, damals im Dezember, vor ihm und druckste bezüglich meines Gemütszustandes rum. Das Wort „Suizidgedanken“ sprach ich nicht aus, ich umschrieb es. „Können Sie es aussprechen?“, nett-erwartungsvoll sah er mich an. Tränen schossen mir in die Augen, der Kloß im Hals quillte immer mehr auf und ich brachte kein einziges Wort hervor. „Nun, ich nenne es jetzt mal beim Namen, denn ich habe keine Angst, es auszusprechen, okay!?“
So redeten wir also über meine Situation und dieses und jenes und ich verließ seine Praxis … mit einem Magengrummeln. Irgendwas stimmte nicht. Irgendwas störte mich … irgendwas fühlte sich schwer und nicht wie sonst etwas erleichtert an … etwas wurmte mich …
Auf dem Heimweg ging ich also das Gespräch nochmal in Gedanken durch … und da wars: ER hatte also keine Angst, dass Wort „Suizidgedanken“ auszusprechen. Na toll. Schön für ihn, dass ER keine Angst davor hat.
Ich war sauer. Auf mich. Auf meinen Psychiater. Auf seinen Satz.
Hat er meine Aussage bagatellisiert? Mich nicht ernstgenommen? Sich lustig über mich gemacht? Sich darüber erhoben?
Es hat mich drei Woche Grübeln und schlaflose Nächte gekostet, ehe ich mich traute nochmal zu ihm zu gehen (er bietet einmal die Woche eine Krisensprechstunde an). Mein Freund ermutigte mich, meinem Psychiater mitzuteilen, dass mich das letzte Gespräch belastet und ich mit seiner Aussage nicht umgehen bzw. sie nicht einordnen kann.
Bis dato sah ich in ihm weder einen Menschen noch einen Mann. Auch wenn ich nicht weiß, wie sich dieses Bild entwickelt hat, so half es mir, ihm von mir und meinen Erlebnissen zu erzählen.
Durch das Gespräch über die Suzidgedanken wurde mir bewusst, auch wenn ich das kognitiv natürlich vorher wusste, dass er ein ganz normaler Mensch ist. Ein Mensch, an dem ich Kritik üben kann und welcher diese auch annimmt – so wie damals in der Akutsprechstunde.
Unlängst saß ich wieder im Wartezimmer meines Psychiaters und anstatt Harry Potter Band 1-5 zu lesen, geht mir die Situation und das Gespräch von vor zwei Jahren durch den Kopf.
Denn ich habe vor, ihm sagen, dass unser letztes Gespräch ziemlich suboptimal gelaufen ist. Wir sprachen vor drei Monaten über meine Trauerproblematik und ich fühlte mich von ihm nicht verstanden, in meinen Gefühlen nicht akzeptiert und in seinen Aussagen überrumpelt.
Das Gespräch war nicht nur suboptimal – es war schlecht. Mir ging es danach sehr schlecht und ich dachte, ich müsse den Psychiater wechseln. Jemand, der mich in meinen Gefühlen nicht zu akzeptieren scheint, dem kann ich doch nicht einmal im Quartal mein Herz ausschütten bzw. Teile dessen.
Doch ich habe am nächsten Tag nicht bei ihm in der Praxis angerufen und gesagt, dass ich nicht mehr komme. Es waren neben den zwei schiefgelaufenen Gesprächen ca. 16 Gespräche, die sehr gut waren. Gespräche, die mich weiterbrachten. Gespräche, die mir gut taten.
Ist es jetzt richtig, wegen zwei Gesprächen die Beziehung abzubrechen und mich auf die Suche nach einem neuen Psychiater zu machen? Einem, der vielleicht nur so ein Tablettenverschreiber ist, wie ich es von anderen aus meinen Selbsthilfegruppen kenne?
Ich war hin- und hergerissen zwischen dem, was ich dachte und dem, was ich fühlte. Glücklicherweise konnte ich die Situation bei meiner ambulanten Therapeutin thematisieren. Auch sie ermutigte mich, ein klärendes Gespräch mit meinem Psychiater zu suchen und eben nicht dem Borderline-Anteil in mir die Macht zu geben, Beziehungen gleich und sofort abzubrechen.
Nun saß ich also vor etwa drei Wochen im Warteraum meines Psychiaters. Das vergangene Gespräch hat mich diesmal drei Monate lang gewurmt, mal mehr mal weniger, doch es ließ mich nicht richtig los.
Doch wenn ich den Konflikt in mir und mit ihm, ihm gegenüber thematisiere, dann kann ich damit abschließen – dass weiß ich mittlerweile.
Und ich weiß mittlerweile, dass mein Psychiater ein Mensch ist, wie Du und ich. Ein Mensch, der zwar viel weiß, erfahren ist und studiert hat, aber eben auch ein Mensch, der Fehler macht oder mal unglückliche Worte wählt.
Auch wenn ich das zwischendurch erkannt bzw. akzeptiert habe, so fällt es mir schwer, damit umzugehen. In Beziehungen mit Menschen, welcher Art auch immer, läuft man immer Gefahr, dass sie mal was sagen, was man falsch aufnimmt, missversteht oder was einen vor den Kopf stößt.
Das tolle an meinem Psychiater ist, dass ich an ihm und seinen Aussagen Kritik üben darf. Er kann sie annehmen und reflektiert sein Verhalten. Er gesteht mir gegenüber ein, dass seine Wortwahl auch mal ungeschickt ist. Er bedankt sich sogar für meine Kritik und findet es toll, dass ich ihm da so offen und ehrlich gegenüber bin.
Das ist der Teil, der mir noch ein wenig schwer fällt zu glauben – wie oft denke ich von mir selbst, dass ich ja nur eine Patientin von ihm bin, die mit ihrem Leben nicht klarkommt. Wie kann ich es mir nur erlauben, ihn zu kritisieren? Sollte ich nicht mit meinen „wirklichen“ Problemen zu ihm kommen, anstatt die Zeit mit solchen Bagatellen zu vergeuden?
Doch das ist genau der Punkt – mein Selbstwertgefühl, meine Angst vor Konflikten und die Angst, andere zu kritisieren, dass sind Teile meines Problems. Teile meiner Krankheit. Teile meiner Depression, Angststörung und Borderline-Störung.
Diese Ängste sind nicht die Ursachen meiner Probleme, doch Symptome dessen. Wenn ich diese angehe, dann verändert sich ein Teil von mir. Und ich kann sagen, es ist eine interessante Erfahrung andere zu kritisieren, die das auch annehmen bzw. mit denen man ganz sachlich darüber reden kann. Diese Erfahrungen stärken mich für weitere Ziele.
Bis jetzt sind mein Freund und mein Psychiater mein „Übungsfeld“ – irgendwann werde ich stark und mutig genug sein, dieses Feld auszuweiten. Auf Menschen in meinem Umfeld, auf den ein oder anderen Freund, Kolleg*innen und … auf meine Eltern.
Das Bild meines Psychiaters hat sich geändert
Mir hilft nun bei meinem Psychiater als auch bei meiner Therapeutin der Gedanke, dass sie zwar sehr viel aus der Psychologie und dem Leben wissen – sie aber eben nicht alles wissen (können). Und nicht alles, was mein Psychiater oder meine Therapeutin mir sagen oder raten, muss richtig sein.
Wichtig ist, was ich aus dem von ihnen Gesagtem mache. Ich bin dabei zu lernen, nicht jede Aussage für bare Münze zu nehmen oder jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.
Mein Psychiater bzw. auch meine Therapeutin sind für mich mittlerweile anerkannte Menschen und keine Figuren, die alles richtig machen. Beide sind für mich Lebensberater*innen – ich kann deren Rat annehmen, muss es aber nicht. Er, der Rat, kann für mich richtig sein, muss es aber nicht. Er kann mir weiterhelfen, muss es aber nicht.
In Therapie zu sein, bedeutet nicht, sein Leben und alle damit verbundenen Entscheidungen gänzlich in andere Hände zu begeben. Auch ich als Patientin oder Klientin habe ein Mitspracherecht.
Das nennt man auch, Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen!
4 Kommentare zu „Erkenntnis: Mein Psychiater ist auch nur ein Mensch“
Hallo Nora,
ich nehme seit 8 Jahren Venlafaxin und möchte endlich davon weg, weil ich wissen mag wie es ohne ist. Nimmst du auch etwas?
Annie
Hallo Annie,
derzeit nehme ich nur noch abends zum Schlafen Atosil (Wirkstoff Promethazin). Antidepressiva habe ich vor ca. 3 Jahren abgesetzt. Hatte zuletzt Paroxetin bzw. Opipramol genommen, welches jedoch nur eine geringe Wirkung hatte. Venlafaxin habe ich zwar schon mal vom Namen her gehört, jedoch keine eigenen Erfahrungen damit.
Ich wünsche Dir viel Erfolg, wenn Du Dich für das Absetzen entscheidest – sollte es nicht gehen, dann kannst Du ja immer noch darauf zurück greifen!? Vermutlich wirst Du es auch stückweise ausschleichen, oder?
Alles Gute, Nora
Liebe Nora,
du kannst dich wirklich glücklich schätzen so einen „guten“ Psychiater zu haben. Diese Konflikte sind wie du bereits selbst gemerkt hast keinesfalls nur Bagatellen, sondern sie spiegeln doch in gewisser Weise deine Problematik wieder. In dem du dich dem stellst, mit deinem Psychiater darüber sprechen kannst, machst du neue Erfahrungen. Wie du so schön schreibst – es ist ein Übungsfeld!
Ich nutze meine Psychiaterin wirklich nur für die Medis, am liebsten würd ich gar nicht bei ihr rein, weil ich ihr sowieso nichts Tiefergehendes erzähle. Dafür nutze ich ausschließlich meine Therapeutin. Für mich zählt gerade nur von den Medis wegkommen.
Ganz liebe Grüße
Annie
Liebe Annie,
ja Du hast recht – ich schätze es auch sehr, dass ich so einen netten und verständnisvollen Psychiater habe, der noch seine Menschlichkeit bewahrt hat – auch wenn das menschliche Fehler mit sich bringt. Menschen eben 😉
Schade, dass Du mit Deiner Psychiaterin nicht so gute Erfahrung machst 🙁 Ich wünsche Dir viel Kraft für das Absetzen der Medikamente – was nimmst Du derzeit, wenn ich fragen darf?
Liebe Grüße,
Nora