Du sagst, ich hätte den Krieg von damals nicht erlebt und ja, Du hast Recht.
Und doch bin ich ein Kriegskind …
Ich erlebe den Krieg in mir
Früher als Kind, hörte ich vom Krieg aus vergangenen Zeiten und vom Krieg auf anderen Kontinenten. In der Kirche sammelten wir für die Armen und für die Kinder in den Kriegsgebieten. … Afrika … es war für mich so weit weg.
Und ich dachte, ich wäre sicher in meinem Zuhause. Sicher in mir.
Nur wenig später lernte ich, dass Krieg nicht gleich Krieg ist, denn wir hatten Krieg zu Hause. Lauter Streit, stechende Gewalt, kalte Liebe. Zwischendurch ein paar Tage Frieden, doch die Hab-Acht-Stellung und die Angst vorm nächsten Ausbruch die blieb. Und ich dachte, in meinem Land bin ich sicher. Ich muss nur erwachsen werden und ausziehen.
Dann bin ich sicher. Sicher in mir.
Als Jugendliche schaute ich vermehrt Nachrichten, sah die Gewalt und Katastrophen in Nachbarländern und anderen Städten, während in unserer Familie auch noch Krieg herrschte. Ich flüchtete nach draußen, zu Freunden und dachte, in ihrer Gegenwart bin ich sicher und dass die Unruhe in mir der Krieg von daheim sei. Wenn ich denn nur ausziehe, finde ich meinen Frieden.
Dann bin ich sicher. Sicher in mir.
Seit vielen Jahren lebe ich ein paar Stunden Autofahrt entfernt von meiner Familie und lebe in einem sicheren Terrain. Ich habe Liebe und Geborgenheit um mich, es ist Frieden. Doch den Krieg von früher habe ich mitgenommen, er ist in mir verankert.
Ich bin nicht sicher in mir.
Denn meine Seele ist ein Krisengebiet,
mit einem Minenfeld aus Erinnerungen und Erfahrungen.
Ich weiß nie, wann der Krieg in mir ausbricht … weiß nie, wann und wodurch die Schusswaffen ausgelöst werden … weiß nie, wann und für wie lange mich Angst oder Depression als Geisel nehmen … weiß nie, wann wieder Waffenstillstand ist … weiß nie, ob nicht doch noch eine Bombe hochgeht … weiß nie, wann die Armee von dunklen Gedanken und niederschmetternden Gefühlen wie aus dem Nichts auftauchen und sich gegen mein Ich stellen – welches doch leben möchte.
Ich weiß nie, mit welchen Waffen sie mich heimsuchen und wie laut es wird.
Manchmal sind die stillen Kämpfe die lautesten.
Nein, ich bin (noch) nicht sicher in mir.
Noch zu oft frage ich mich, wo ist der Schutzbunker in mir?
Wo kann ich mich verstecken? Wer beschützt mich? Wie kann ich mich selbst beschützen?
Du hast schon recht, ich habe nicht Deine Kriegserfahrung. – Ich habe meine eigene.
Doch ich möchte glauben.
An den Himmel, an den Frieden und an einen Waffenstillstand in mir.
Ich möchte daran glauben, dass ich mir selbst einmal die Hand reiche und mich selbst beschützen kann.
Und ich möchte daran glauben, dass der Krieg in mir einmal vorbei ist.
Einen Krieg, den ich überlebt habe.
Einen Krieg, der irgendwann einmal zu einer Geschichte von früher wird,
über welche ich dann in meinen alten, verstaubten Tagebüchern lesen werde.
1 Kommentar zu „Krieg in mir“
Schön geschrieben! Danke, dass Du Deine eigenen Erfahrungen so offen teilst. Ich glaube auch daran, dass der Krieg verstummen wird, wenn Du einen Frieden mit dir schließt. Wünsche dir viel Erfolg bei den Friedensverhandlungen!
Alles Liebe
Sandro