Wie fühlt sich eine Depression, eine Panikattacke, ein Angstzustand an? Frage 100 Menschen und Du erhältst 1000 Antworten, denn auch wenn sich vieles wiederholt – nichts ist immer gleich. Wie es bei Stev D., einem Mann Mitte 30 aussieht, beschreibt er in seiner Momentaufnahme eines unerwarteten Depressionsschubs:
Depression inside ~ me
Ich bin einkaufen gegangen – Alles scheint in Ordnung zu sein.
Die Gedanken und Gefühle sind auf einem erträglichen Niveau, das Wetter spielt mit – sogar ein leichter, innerer Schwung ist zu erahnen. Der Weg war ohne Probleme geschafft, der Haupteinkauf war auch soweit okay – jetzt nur noch schnell in den nächsten Netto, Waffeln holen, die es bei Rewe nicht gibt, dann noch zum Kiosk und vielleicht gibt es noch ein Eis zum Schluss.
Die Kassen sind nicht sonderlich belegt – es dürfte also fix gehen, anstehen.
Es geht recht zügig voran, aber plötzlich ein drückendes Gefühl im Magen, Schweißausbruch, mir wird schwindelig, Atemnot, das Hören verändert sich, alles hallt, im Mund fängt es an zu brennen, die Muskeln „reißen“, mir ist kotzübel.
„Okay, dass kennst du, ruhig bleiben, einfach geschehen lassen, nicht bewerten!“ – immer wieder dasselbe „Mantra“.
Die Kasse ist auf einmal Ewigkeiten weit weg, obwohl ich inzwischen noch näher dran bin, als zuvor – der Herzschlag bleibt gleich, aber er erschüttert meinen ganzen Körper, meinen Verstand.
Kasse: Gefühle und Gedanken spielen verrückt, mich zerreißt es innerlich, wirft es fast von den Beinen – die Maske hält.
Antrainiert ist sie, die Maske, eine von Vielen, spezial verstärkt, geschaffen dafür, dass sie selbst im Untergang noch halbwegs sitzt – Qualitätsarbeit.
Der seelische Zustand wechselt von hier auf jetzt ins absolut Negative – es ist, als hätte ich gerade das Schlimmste auf der Welt erlebt. Als stecke ich immer noch mittendrin und eine düstere Traurigkeit schlägt sich breit, explodiert förmlich in mir, reißt mich mit ihr mit.
Ein leichtes Muskelzucken, um die Augen herum, den Mund – ein simples Überspielen, kleine Ausgleichshandlungen reichen, kaschieren den Zustand, keiner merkt etwas.
Jegliche Emotion, jeder abweichende Gedanke, welcher nichts mit „Einkauf“ und „Funktionieren“ zu tun hat, jede Anspannung, die in mir herrscht, wird gnadenlos ins nächste „Ich“ gepackt, welches tief in mir verborgen ist, sodass Auswirkungen länger bis an die Oberfläche brauchen, sie nicht sichtbar werden können, oder eben erst ganz spät.
Das Geld ist inzwischen vorher abgezählt, Nervosität die keiner bemerken darf – keine Zeit unnötig hierbleiben – den Mist schnell beenden und raus.
Geschafft, ich bin draußen – die Luft ist anders als drinnen, tut gut, leichte Besserung.
Kiosk angepeilt – muss ja auch noch sein -, kurz rein, fertig, wieder raus – Überlegung, ob ein Eis jetzt die richtige Idee ist, auch als eine Art Gegenmaßnahme. Ja, denn plötzlich wird mir klar, dass ich es überhaupt nicht bis nach Hause schaffen würde.
Das „Besser“ war nur eine Illusion, ein kurzes Luftholen für die nächsten Stufen des Schubs.
Hin zum Eisladen – zum Glück gerade keiner drin – Eis geholt, freundlich lächelnd „Danke“ gesagt, draußen hingesetzt, Eis „genießen“.
Es ist nur Schein, denn eigentlich brauche ich gerade diese Pause und das Sitzen – auf meinen Beinen könnte ich mich gar nicht mehr halten, so weich fühlen sie sich an, kraftlos, ohne Kontrolle über sie, und mir ist schummerig vor Augen, sodass ich gar nicht klar sehen kann.
Holla, die Waldfee – ein kräftiger Schub.
Das Eis schmeckt … Es schmeckt nach Schauspiel und gewisser Hilflosigkeit, gepaart mit genommener Ruhepause, die nötig war – „Alles richtig gemacht“, ich hab auf die Signale noch rechtzeitig reagiert.
Nichts ändert sich – körperlich und seelisch bleibt es fast gleich, ein innerliches „vibrieren“ hat eingesetzt, aber mein Umgang damit stabilisiert sich, ich stelle mich darauf ein.
Das Eis ist alle, ich habe mir einen „Ablaufplan“, wie die jeweiligen Körperteile jetzt zu funktionieren haben, zurechtgelegt.
Die Maske ist frisch aufpoliert
Die ist nicht nur für die anderen um mich herum, sie ist auch für mich selbst ein „Zustands-Bild“ an dem ich mich festhalten kann – und schon kann es weitergehen.
Der Weg ist nicht lang, die Straße ist gerade relativ ruhig, was angenehm ist, denn jedes Geräusch verführt zum Ausrasten oder zum Verzweifeln, beides. Der Tunnel, durch den in inzwischen gehe, der aber überhaupt nicht real existent ist, fokussiert meinen Blick automatisch nach vorne, blendet alles unwichtige neben mir aus, zwingt meine Körperhaltung ins Getriebene.
Die Haustür ist erreicht, die letzten Stufen erklommen – im wahrsten Sinne des Wortes – das Schloss hat diesmal auch keine Probleme gemacht, Sofa, hinlegen, „nie wieder“ aufstehen.
Der Körper schlägt jetzt, da er das „Go“ bekommen hat, nun richtig zu, lässt mich die ganze Anspannung vollends spüren, fühlt sich an, als hätte ich gerade einen exorbitanten Kraftakt hinter mir, ergibt sich in völlige Ermattung und ist doch am Explodieren – nur Übergeben muss ich mich nicht, aber dafür fehlt mir wohl momentan auch die Kraft.
Müdigkeit setzt ein, eine Müdigkeit vom Leben, keine in der man sich „nur“ schlafen legen möchte
Die Gedanken und Gefühle dazu sind nicht eben erst gekommen, nein, sie wirken, als ob sie schon die ganze Zeit da waren, nur etwas weiter weg. Und nun sind sie plötzlich, wie durch einen schnellen Zoom, ganz nah, sind ein Teil von mir, wieder.
So klar, wie meine Augen gar nicht mehr sehen können, so sehen jetzt mein Herz, sehen meine Gedanken – Tod, nur noch Tod.
Es ist immer wieder dasselbe – ich kenne es seit Jahrzehnten, nur nicht so heftig, wie die letzten 4 Jahre.
Und da sind sie wieder, meine ‚Alter Egos‘, die ich immer noch in mir trage, die noch nicht ganz mit mir verschmolzen sind – sie stellen „ihre“ Kraft an meine Seite, geben mir „ihre“ Gedanken, „ihre“ Gefühle, als Stütze, Halt, geben mir die Möglichkeit, mich aus diesem Zwang so zu befreien, dass ich zwar leider nicht entkommen, aber so, dass ich wieder relativ frei entscheiden kann.
Also entscheide ich
Ich entscheide es aufzuschreiben, die Gedanken und Gefühle zu kanalisieren, sie in „gute Bahnen“ zu lenken, zu betten, mich so weit zu lösen, dass alles, was gerade in und mit mir geschieht, seinen Platz in mir hat, es so geschehen darf, ich es „leben“ kann und darf, ohne dabei die Kontrolle über die grundlegenden Handlungen zu verlieren.
Jetzt heißt es geduldig sein, das Geschehen nicht zu hinterfragen, solange es nichts Gravierendes ist, es „laufen lassen“ – es wird aufhören, sobald es Zeit dafür ist, denn „Ich bin, alles ist, positiv wie negativ. Alles ist alles in einem Moment, der ewig ist und nie!“, und es wird sein, weil es schon immer war.
„Frieden“, Waffenstillstand, ich bin wieder im Sein; Nicht positiv – aber das ist, für die Problematik gesehen, die Umstände, nicht schlimm, also weiter im „Text“.
©Stev D.
6 Kommentare zu „Depression Inside ~ me“
Meine bessere Hälfte macht das auch seit Jahren mit. Es ist furchtbar auch für mich. Ich weiß nicht wie ich ihr nur helfen kann. Hoffe auch so sehr das sie es mit Akzeptanz schafft einen Weg zu finden.
Peter aus Hessen.
Ich habe mich in fast jeder Zeile wiedergefunden… und trotzdem sehe ich mich nur als faul und als Nichtsnutz. Dabei mache ich das alles ja nicht extra 🙁 Danke für die Worte, ich habe die Hoffnung, dass ich auch irgendwann, es akzeptieren, damit umgehen und leben kann.
Die Hoffnung habe ich auch, Kiyo – auch Du kannst es schaffen, Dich und Dein Leben einmal wiederzufinden, zu akzeptieren und zu LEBEN!
Ich wünsche Dir bis dahin ganz viel Kraft und alles Gute,
Nora
Wie kann ich Menschen helfen die gerade einen Schub von Depressionen bekommen ?
Wie gehe ich selber damit um ?
Das ist schwierig. Wenn ich einen Schub bekomme, kann es sein, das ich Nähe brauche. Es kann aber auch sein, das ich niemanden um mich herum ertragen kann. Und manchmal beides gleichzeitig…
Das bringt mich auf die Idee, genau das auch einmal aufzuschreiben. Weil es auch bei mir ein bestimmtes Ablauf-Muster gibt …