Kontaktabbruch – eine Form von Selbstschutz

Der nachfolgende Text als auch das Bild entstanden im Sommer 2016, als ich zur medizinischen Reha war. Einige kennen ihn bereits, da ich ihn damals auf meiner Facebook-Seite veröffentlichte. Nun gibt es aufgrund des derzeitigen Kontaktabbruch zu familiären Bezugspersonen einen aktuellen Bezug, weshalb ich ihn hier noch einmal aufgreife:

Nora Fieling

 

Ich bin zwar keine große Zeichenkünstlerin, dennoch wollte ich Dich an meinem Bild aus der Ergotherapie teilhaben lassen.

Es ist eine wichtige Metapher für mich geworden:

 

Ich bin ein Baum, der zu leben versucht

Regen ist per se nicht schlecht. Bäume brauchen Regen.

Doch es gibt sehr starken und langanhaltenden Regen,

den schwache Bäume nicht aushalten.

Mit Sturmregen können sie nicht umgehen,

sind nicht standhaft genug, zerbrechen daran.

Vor allem sind junge Bäume so einem Sturmregen nicht gewachsen.

Sie brauchen da mehr Schutz.

Es gab durchaus Regen, an dem ich gewachsen bin.

Hier und da ein Konflikt oder eine Hürde, die mich gefordert hat.

Doch es gab Stürme,

die mir als junger Baum zu schwer waren.

Ich konnte nicht richtig wachsen bzw.

mich entfalten. So wurde ich etwas krumm und schief.

Nun bin ich als Baum jedoch in einer Gegend gepflanzt worden,

aus der ich nicht so einfach raus kann – wo es immer mal wieder Sturm

und Tiefdruckgebiete gibt, die mir zu schaffen machen.

Ich wünschte mir, dass sich aus dem Regen,

den ich teilweise stark verinnerlicht habe

und der inzwischen ein Teil von mir ist,

sich ein schützender Schirm entwickelt.

Er wird den Sturmregen nicht komplett

an mir abprallen lassen, doch zu großen Stücken.

Ich wünsche mir diesen Schirm,

der ein stückweit auch schon da ist,

damit ich mich darunter wieder entfalten kann

und meine Wurzeln tiefer in die Erde eindringen.

 –

Ich möchte, dass der Schirm mich darin unterstützt,

weitere Blätter oder auch Früchte wachsen zu lassen.

Ich wünsche mir, dass dieser Schirm verhindert,

dass wieder Zweige abbrechen.

Ich wünsche mir, dass all meine Erfahrungen mich

irgendwann mal spürbar stärken und

dass ich mich selbst beschützen kann.

Ich wünsche mir, dass ich unter meinem Schirm,

dass Leben kennen lerne und nicht nur den Sturm …

Das „M.“ in dem Bild steht übrigens für meine Oma,

welche mir damals ganz viel Kraft geschenkt hat, sodass ich überlebt habe.

Leider wurde sie schon in eine ganz andere Welt umgepflanzt.

Kontaktabbruch – ich als Baum, muss mich von meinem Wald abschotten

Vergangenes Wochenende war es mal wieder so weit. Ja, mal wieder. Erst vor 1,5 Jahren teilte einer familiären Bezugsperson mit, dass ich einen Kontaktabbruch wünsche. Ich schrieb einige Zeit später eine Mail, versuchte mich und meine Entscheidung zu erklären. Doch geändert hat dies nichts. Nur ein „Deine Mail habe ich gelesen – und ich werde sie so respektieren. Weitere Worte oder Fragen hierzu also nicht.“ Und schon ging es weiter mit dem alltäglichen Floskeln …

Vergangene Tage gab es erneut einen Streit, der mich verletzte und durch welchen ich mich (und wohl auch mein Partner sich) gedemütigt fühle. Und so teilte ich ihm mit, dass wir in unserem Kontakt eine Pause machen sollten. Das ich das so wünsche. Denn die Beziehung zu ihm, tut mir nicht nur weh, sie schadet mir.

Ich brauche für die Gründe dazu gar nicht in die Details von früher gehen, die von emotionaler Erpressung, Alkohol, Gewalt, Parentifizierung, lautem Streit und kalter Liebe geprägt sind.

Es gibt heute zwar keine körperliche Gewalt mehr – dafür bestehen Verhaltensweisen und Worte, subtile Gewalt, die mir schadet.

Ständig das Gefühl, dass ich mich rechtfertigen muss, nicht richtig bin, ich nicht akzeptiert geschweige denn geliebt fühle, mangelndes Interesse an mir als Person und meinem Tun … soweit ich eine eigene Meinung vertrete und ihnen gegenüber Grenzen setze oder mal „Nein“ sage, wird sich eingeschnappt abgeschottet, verächtlich geguckt und beleidigt „ok“ gesagt. Und schon hab ich wieder das Gefühl, ich mache es nicht richtig, ich bin falsch.

Es gibt durchaus Fragen ihrerseits, die von Interesse an meinem Tun zeugen: Was ich derzeit so mache, z.B. Doch kaum gehe ich raus aus mir, öffne eine Tür, erzähle etwas, was mir vielleicht gar nicht so leicht fällt – und schon wird das Thema gewechselt und vom Garten vorm Haus erzählt.

„Das ist doch jetzt nicht so schlimm.“, mögen einige vielleicht denken. Das mag es objektiv auch sein. Doch mir tut es weh! Meine Therapeutin sagte mehrere Male, dass ich früher ein „unsichtbares Kind“ war. Meine Interessen und Bedürfnisse wurden nicht wahrgenommen. Zumindest nicht ausreichend. Und dies zeichnet sich heute noch ab – es werden kurze Fragen gestellt, es besteht ein kurzer Informationsaustausch, doch ein vertrauensvolles Gespräch findet nicht statt.

Und für so etwas mag ich mich nicht mehr öffnen. Ich mag unter solchen Umständen nicht erzählen, was ich mache oder wie es mir geht – erst recht mag ich nicht sagen, wenn es mir schlecht geht – um dann verbal eine „gescheuert“ zu bekommen. Dies ist auch Gewalt – und mir tut es weh!

Es gibt viele subtile Verhaltensweisen, die mir weh tun – die zugleich so unglaublich schwer zu beschreiben sind. Vielleicht finde ich irgendwann mal Worte für das, was ich mich vielleicht derzeit auch noch nicht traue auszusprechen.

Doch für jetzt, muss ich mich selbst schützen. Und daher findet jetzt der Kontaktabbruch statt.

Wunschdenken vs. Realität – was will ich eigentlich?

Ich wünsche mir, das sie sich wirklich für mich interessieren. Das sie akzeptieren, dass in meinen Depressionen frische Luft und Sonnenschein nicht das beste Mittel der Wahl sind, sondern die Verständnis zeigen. Ich wünsche mir, das sie akzeptieren, dass meine Träume, Ziele und Pläne nicht mit den ihren übereinstimmen und sie mir dennoch Zuversicht zusprechen …

Ich wünsche mir, das sie mir Mut zusprechen … ein „Ich finde es toll, wie Du Dich trotz Deiner Erkrankungen und Beschwerden kümmerst und Dich immer wieder aufrappelst und kämpfst!“ … ein „Ich wünsche Dir, dass Du Dein berufliches Ziel umsetzen kannst.“ … ein „Ich glaube an Dich und stehe hinter Dir!“ … ein „Egal, was Du anfängst, durchhältst oder wieder abbrechen musst, wir haben Dich lieb, so wie Du bist!“ … oder welche mir auch eine Umarmung schenken, die ehrlich ist und mich nicht bedrückt …

Ich wünsche mir, dass ich mich trotz meines Erwachsen-seins bei ihnen beschützt und sicher fühlen kann. Ich wünsche mir, dass ich bei ihnen das Kind sein darf! Ich wünsche mir, dass ich mich bei ihnen nicht ängstlich fühlen muss, vor ihren Launen, Worten oder Taten.

Doch das ist meine kindliche Phantasie. Denn ich kann und werde sie nicht ändern.

Und während ich davon träume, betrauere ich das, was ich niemals hatte … zugleich versuche ich mich in meinem Verhalten zu ändern!

Wie es jetzt weitergeht, weiß ich noch nicht. Doch was ich weiß ist, dass der jetzige Kontaktabbruch die richtige Entscheidung ist. Vielleicht erstmal auf Zeit. Ich muss und werde mich um meinen Baum kümmern. Den Schirm, den ich bis dato gebaut habe, reicht für diesen Sturmregen nicht. Und so muss ich zum Eigenschutz mich erstmal woanders hin verpflanzen. Nicht alle Pflanzen können über den Winter draußen im Garten bleiben – so auch ich nicht!

Und natürlich habe ich bei all dem Schuldgefühle und irgendwie tut es auch weh … doch in diesem Sturm zu leben, tut mir derzeit noch mehr weh. Und ich weiß inzwischen, dass ich für mich einstehen darf! Ich glaube mir selbst das nicht immer, doch ich darf das!

Denn ich als Mensch darf

– „nein“ sagen
– sagen, was mir nicht gut tut
– auf mich achten
– meine Belastungsgrenzen respektieren
– schädliche Beziehungen einschränken
– Gefühle haben, die andere nicht verstehen
– benennen, was mich stört
– Grenzen setzen
– …

Was für andere egoistisch klingt, ist für mich gesunder Egoismus! Der Kontaktabbruch ist für mich eine Form von Selbstfürsorge und Selbstschutz.

Denn jeder Mensch darf in seinem Sinne und gut für sich handeln!

Auch ich bin und darf ein individueller Mensch sein, der auf sich selbst acht gibt!

Und nun?

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