
Lange Zeit war es ruhig hier auf meiner Seite. Etwa zwei Monate lang habe ich keinen Beitrag verfasst. Ich konnte nicht, da ich fest in einem Kreislauf von Angst und Depression steckte.
Angst und Depression – ein Wechselspiel
Es ist mir in den vergangenen Jahren schon öfters aufgefallen – war ich raus aus der depressiven Phase, so war ich mehr in meiner Angst drin. Kaum das ich mit meinen Angstzuständen und Panikattacken etwas besser klar kam, rutschte ich in die nächste depressive Episode. Zwischendurch gab es auch von beiden Störungen eine minimale Pause, doch diese hielt leider nie allzu lang an.
Vor ca. drei Monaten nahmen meine Panikattacken zu. Was zunächst „nur“ gelegentlich auftrat, wurde bald zu einem mehrmals täglichen Horrortrip – Übelkeit, Herzrasen, Schwindelgefühle, Kopfdruck, PANIK.
Nichts konnte ich außerhalb meiner Wohnung alleine machen – Einkaufen, Arzttermine wahrnehmen, öffentliche Verkehrsmitteln nutzen, länger mit fremden Menschen reden, meine Selbsthilfegruppen besuchen oder alleine zu meiner Therapeutin fahren. Für all dies brauchte ich meinen Freund, der die Einkäufe erledigte oder mich zu meinen Terminen mit dem Auto fuhr.
Ich war gefangen in meiner Panik und ziemlich unselbstständig. Infolgedessen musste ich auch meine erweiterte Arbeitserprobung in einem Berufstrainingszentrum – für die Vorbereitung einer beruflichen Reha – abbrechen.
Aufgrund der Panikattacken rutschte ich immer mehr in eine Depression und damit ging gar nichts mehr.
Ich hatte keine Kraft und vernachlässigte so ziemlich alles. Ich schaffte es nicht zu meinen Gruppen, mir schmeckte nichts, wodurch ich gut 5 kg abnahm, ich konnte mich kaum um meine Tiere kümmern, hatte keinen Elan zum Schreiben und vernachlässigte meine freundschaftlichen Beziehungen.
Das einzige was gut klappte, war das Schlafen. Ich fühlte mich so erschöpft und müde, dass ich sehr viel schlief. Glücklicherweise war es schon fast Winter – denn jeden Morgen nach dem Aufstehen (was in meinem Fall eher mittags war) zu duschen, war viel zu viel. Es war eine immense Hürde, überhaupt aufzustehen, meine Schlafsachen gegen Schlumpi-Klamotten zu wechseln, Zähne zu putzen und mich dann auf die Couch zu legen.
So verging Tag um Tag, Woche für Woche – doch wie sollte es weitergehen?
Irgendwas musste passieren, denn die Situation wurde unerträglich. Zu all dem nichts-tun-können kamen Schuldgefühle – meinen Tieren gegenüber, denen ich nicht gerecht werden konnte und vor allem meinem Freund gegenüber, welchem ich eine Last war. So zumindest meine Gedanken.
Ich nahm einen Termin bei meinem Psychiater wahr und war zu allem bereit – Psychiatrie, Tagesklinik, Tabletten … Hauptsache irgendwas passiert.
Gut zwei Jahre lang nahm ich keine Psychopharmaka, doch diesmal war es soweit. Wir wollten es mit einem angstlösenden Antidepressivum versuchen. Also nahm ich fortan Escitalopram. Nach gut vier Wochen gab es immer noch keine Verbesserung. Die Erstverschlimmerung des Medikamentes hätte schon längst vorüber sein müssen, doch mir ging es nach wie vor schlecht und ich war so gut wie zu nichts handlungsfähig.
Infolgedessen wechselten wir zu Venlafaxin. Dies nehme ich nun seit fast vier Wochen und endlich – es geht bergauf. Ich verspüre Antrieb, Gefühle, Freude und weniger Angst.
Mein Highlight hatte ich vergangenen Montag, als ich das erste Mal nach 2,5 Monaten alleine S-/U-Bahn gefahren bin, bei meiner Selbsthilfegruppe war und alleine in einem Lebensmittelladen einkaufte. Wieder daheim angekommen war ich den Tränen nahe – ich hatte diese doch für viele Menschen alltägliche Herausforderung geschafft. Und das ganz ohne Panikattacken!
Und hier zeigte sich, dass das, was für viele andere eine Selbstverständlichkeit ist, für Menschen wie mich ein riesiger, erfolgreicher Schritt nach vorne ist.
Und heute ging es weiter. Nicht nur, dass ich hier mal wieder einen Beitrag veröffentliche, sondern auch damit, dass ich alleine zu meiner Therapeutin fuhr. Der Weg ist weiter als zu meiner Gruppe, daher war es auch ein größerer Schritt – zurück in meine Selbstständigkeit.
Doch warum kam es zu den Panikattacken und der Depression?
Die Frage nach Ursachen ist immer da. Ich weiß, dass ich unter einer rezidivierenden, also immer wiederkehrenden, Depression leide. Ich muss also damit rechnen, dass ich immer wieder abstürze. Doch in der Therapie arbeite ich ja nicht nur meine Vergangenheit auf, ich lerne auch, Anzeichen einer neuen depressiven Episode zu erkennen und diesen dann entgegenzuwirken.
Habe ich also in den vergangenen Wochen etwas übersehen gehabt? Etwas nicht bemerkt?
Leider kann ich es nicht so pauschal beantworten. Es passierte „einfach“ sehr viel in meinem Leben bzw. steht mir noch einiges bevor. Da ist die sehr große Angst vor einer Operation, welche in ein paar Monaten ansteht, es ist die Angst gewesen, mich dem beruflichen Training zu stellen und vor allem gab und gibt es den Konflikt mit meinen Eltern.
Während die ersten beiden Punkte meine Angst und Panik fütterte, führte mich der Konflikt mit meinen Eltern, welcher in einem temporären Kontaktabbruch mündete, in eine Depression.
Was wäre, wenn ich nicht in die Depression gefallen wäre?
Ich habe nichts gefühlt, dafür viel gedacht – ich vermiss(t)e Eltern, nicht aber meine. Dies ist ein Zwiespalt, denn in meinen Gedanken war die Sehnsucht nach familiärer Liebe und Geborgenheit, doch ich spürte dies aufgrund der Depression nicht wirklich. Alles war taub, leer und still.
Jetzt, wo es mir in meiner Stimmung und meinem Antrieb besser geht, frage ich mich, ob ich die Gefühle der Sehnsucht, des Verlassen-Seins, der Trauer und der Leere in mir ausgehalten hätte.
Hätte ich der Wucht dieser Gefühlswellen standgehalten?
In den letzten Jahren bin ich sehr oft in das selbstverletzende Verhalten zurückgefallen, wenn ich manche Gefühle nicht ausgehalten habe. Auch wenn die Stille und Leere in mir zu stark waren. Doch diesmal hatte ich den Drang nicht dazu. Ich hatte in dieser depressiven Phase nicht einmal Suizidgedanken. Da war „einfach“ nichts.
Den Druck des Selbstverletzens spüre ich seit einiger Zeit wieder. Seit dem es mir in meinem Antrieb besser geht und ich wieder mehr Gefühle wahrnehme. Doch er ist nicht so stark ausgeprägt, sodass ich mich gut ablenken bzw. meine Energie anders kanalisieren kann.
Ja, es ist noch viel Wut, Enttäuschung, Trauer und Ärger in mir. Doch ich habe den Eindruck, dass ich damit zur Zeit zurechtkomme. Dies liegt bestimmt zu einem großen Teil an den Tabletten, die ich derzeit nehme. Doch vielleicht liegt es auch daran, dass mir die Depression eine Pause meiner Gefühle brachte, sodass ich da etwas hinterherkommen konnte!?
Und so frage ich mich, ob diese depressive Phase für mich und meine Seele so etwas wie ein Schutzmechanismus war!? Vergleichbar mit einem Patienten, welcher in ein künstliches Koma versetzt wird, damit sich der Körper regenerieren kann?
Wie seht ihr das? Hattet ihr schon die Erfahrung, dass die Depression – so schwer sie im Moment des Daseins auch ist – im Nachhinein einen sinnvollen Aspekt hatte?