
Über ein halbes Jahr haben wir schriftlich per Brief kommuniziert. Ich versuchte mich und meine Gefühle zu erklären, wollte, dass sie mich verstehen. Und mit jedem neuen Brief den ich erhielt, bekam ich einen Faustschlag ins Herz. Seine Worte verletzten mich und schlugen mich zu Boden.
Ja, Worte können wehtun und tiefe Narben hinterlassen.
Mit jedem neuen Fausthieb und blauen Fleck auf dem Herzen überlegte ich neu, was ich denn jetzt eigentlich machen soll … und kann … und darf. Nach Jahrzehnten emotionaler Gewalt und Auseinandersetzungen zog ich den Schlussstrich und brach den Kontakt ab. Ich musste einsehen, dass es nichts bringt, einem anderen Menschen etwas zu erklären, wenn dieser partout nichts verstehen möchte.
Doch ich hatte mich inzwischen besser verstanden. Durch die Arbeit mit meiner Therapeutin lernte ich mich besser kennen und erkannte, was mir schadet und was mir gut tut. Vor allem lernte ich, dass ich auf mich selbst achten und „Nein“ sagen darf. Ich muss mir nicht alles Gefallen lassen, darf Grenzen setzen und diese verteidigen. Das ist Selbstfürsorge, kein Egoismus.
„Manchmal ist nicht die Frage, mit wem es Dir gut geht, sondern ohne wen es Dir besser geht.“ (unbekannt)
Und so zog ich Grenzen. Aus Selbstschutz. Um meiner Seele die Chance zu geben, wenigstens etwas genesen zu können. Um nicht nur zu funktionieren und zu überleben, sondern um LEBEN zu können.
Also teilte ich ihnen im März diesen Jahres schriftlich mit, dass ich den Kontakt abbrechen werde – zukünftig keine Besuche, keine Telefonate, keine Briefe etc.
Und ich dachte, glaubte, hoffte … ich naives Ding dachte tatsächlich, dass doch jetzt der Groschen bei ihm bzw. ihr fallen wird. Dass sie einsehen, dass es nicht nur an mir liegt. Dass sie erkennen, dass zu einer Beziehung immer zwei gehören, welche das Miteinander gestalten … aber hey, willkommen in der Realität manch Deiner Mitmenschen, verträumte Nora …
Denn selbstverständlich trage ich die Schuld. Dies wurde mir nochmal mitgeteilt, wenn natürlich auch eher auf subtile Weise. Ich bin schuld und trage die Verantwortung alleine.
In seinen Augen. SEINEN.
Ich muss das nicht genauso sehen. Denn inzwischen weiß ich, dass ich nicht alleine für die Trümmer und Verletzungen verantwortlich bin. Und so geht es mir mit der Trennung besser, als wenn wir noch in einer emotionalen Beziehung stünden.
Doch dass dieses Schluss-machen nicht nur für den Verlassenen schwierig ist, sondern auch für denjenigen, der die Trennung veranlasst hat, wird selten gesehen. Erst recht nicht von dem Menschen, der verlassen wurde. Dieser sucht so oft nur die Schuld. Beim anderen …
Viele Wünsche werden nicht wahr – dies zu akzeptieren, ist auch für Erwachsene schwer
Die letzten Wochen konnte ich mit diesem Umstand immer besser umgehen. Ich achtete auf mich, ging achtsam mit mir um und tat vieles, was MIR gut tat. Gute Freunde, mein Partner und meine drei Frettchen sind da natürlich eine sehr große Unterstützung bei.
Natürlich schmerzte es dann und wann, denn tief in meinem Herzen sehne ich mich nach einer liebevollen, geborgenen Beziehung, wo ich einfach Kind sein kann. Zugleich spürte ich, wie frei ich mich ohne diese kaputte Beziehung fühlte.
Bis gestern. Da gab es einen erneuten Brief. Ein erneuter Schlag ins Herz, der so viele Narben aufriss. Und ich frage mich, weshalb sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?
„Beschäftige Dich einfach nicht damit.“ – ich weiß der Rat ist gut gemeint, doch leider ist das alles andere als einfach machbar. Denn auch eine Aussage, ein Satz kann noch lange wehtun und Dein innerstes bluten lassen.
Und ich war wieder das kleine geschlagene Kind, was sich nicht zu helfen weiß. Das Kind, dessen Grenzen nicht respektiert noch akzeptiert werden. Das Kind, was falsch fühlt, handelt, denkt. Falsch ist!?
Abends war ich alleine und wusste nicht so recht, wohin mit mir und meinen Gefühlen und Gedanken. Ich war voller Wut, doch wusste nicht, wohin damit.
Wie rastet man eigentlich richtig aus?
Im Kopf gingen mir so Sachen durch den Kopf, dass man Geschirr an die Wand schmeißt, laut schreit und flucht – doch so einen Impuls fühlte ich nicht. Also fragte ich Google: Wie rastet man aus?
Wie man das von der Suchmaschine so kennt, liefert sie innerhalb einer halben Sekunde über 3 Millionen Ergebnisse und keine weitere Sekunde später hatte ich auf einmal 15 geöffnete Tabs. Allerdings schloss ich diese nach ein paar Sekunden wieder, denn es waren gegenteilige Antworten auf meine Frage.
Ich wollte doch nicht wissen, wie ich weniger impulsiv oder kontrollierter meine Wut rauslasse. Auch interessierte mich in dem Moment nicht, warum manche Menschen jähzornig sind und manche nicht. Und Tipps, wie ich mich beruhige, brauchte ich auch nicht – ich war ja viel zu ruhig. Mein Gefühl klemmte fest.
Ich wollte mal ausrasten. So richtig, aber dennoch gepflegt. Ohne kaputtes Geschirr und so. Aber Google enttäuschte mich. Na gut, einen Tab und somit einen Artikel hatte ich noch offen.
Der Autor empfahl mir, meine Wut „männlich“ auszudrücken. Aha. Was hat denn Männlichkeit damit zu tun? Einen Blick auf den Seitennamen erklärte alles – ich war in einem Männermagazin gelandet. Dessen Tipps waren in der Situation für mich genauso wertlos wie die von all den anderen Seiten.
Und so saß ich dann auf der Couch. Wütend-ruhig-still. Verletzt.
Mir wurde bewusst, dass ich gar nicht wütend bin. Also, zumindest nicht primär. Allen voran bin ich verletzt.
Ich bin ein kleines verletztes Kind, was verstört, irritiert und erschrocken auf dem Boden sitzt. Ein kleines Kind, was sich allein, ungeliebt und unsichtbar fühlt.
Das ich mich so fühle bedeutet nicht, dass ich es auch bin. Es bedeutet vor allem nicht, dass mein Gegenüber Recht hat. Das weiß mein Kopf.
Doch wie soll und kann mein Herz das verstehen? Wie und wann kommt es endlich in meinem Gefühl an?
Das weiß ich (noch) nicht. Doch ich gebe nicht auf.
Und so lange rede ich mir und meinem Herzen gut zu. Ich erzähle ihm das, was mein Kopf schon weiß. So lange, bis mir mein Herz glaubt und es fühlt:
Mein liebes Herz,
Du sehnst und verzerrst Dich nach der Liebe von ihnen. Du möchtest von ihnen gesehen und gehalten werden. Du möchtest die bedingungslose Liebe und Geborgenheit fühlen. Du möchtest spüren, dass Du von ihnen beschützt wirst.
Der Kopf fragt, wann Du denn endlich verstehst, dass Deine Hoffnung vergebens ist …
Solange sie nicht fühlen, werden sie Dich nicht verstehen. Verstehst Du?
Versteh doch endlich. Bitte!
Mein Herz, Du weißt, dass Du richtig bist. Das Du richtig fühlst. All dies darf sein. Auch Deine Sehnsucht.
Du fühlst, dass sie nicht fühlen. Während sie nicht fühlen, was Dir schmerzt.
Ich wünsche Dir, dass Du Ruhe findest und die Geborgenheit anderer Deinen Schmerz stillt. Ich wünschte, dass ich Dir entgegenkommen könnte. Ich wünschte, meine Worten würden Dich erreichen und Deinen Schmerz lindern. Ich wünschte, Du könntest Deinen Schmerz durch Tränen ausspülen.
Ich wünschte Dir vieles, mein Herz, vor allem, dass Du eines Tages in Frieden mit Dir lebst. Diese Hoffnung ist nicht vergebens.
Hörst Du? Fühlst Du?
Gib nicht auf mein Herz. Du darfst sein. So wie Du bist. So wie Du schlägst.
Schlage weiter, mein Herz. Lebe weiter, mein Kind.
Fühle. Lebe. Atme.
In Liebe,
Dein Ich