Was denkt ein Psychotherapeut über seine Patienten? Bin ich krank genug? Wie hält man es als Therapeut aus, sich Geschichten und Schicksale anzuhören und dabei nicht selber zu verzweifeln? – Dies sind nur einige Fragen, denen Anke Glaßmeyer alias diepsychotherapeutin auf Instagram anhand des beliebten Hashtags #therapysecrets [Therapiegeheimnisse] beantwortet. Sie selbst ist Psychologin und psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie. Doch nicht nur das – Anke hat selbst Erfahrungen mit einer psychischen Erkrankung und aufgrund dessen nochmal einen ganz anderen Zugang zu ihren Patienten. Ich freue mich sehr, dass ich ihr ein paar Fragen stellen durfte, deren Antwort ich noch nicht auf ihrem Account gefunden habe.
Ich hab da mal ne Frage … an Anke Glaßmeyer, diepsychotherapeutin von Instagram
Hey Anke, seit 2018 bist Du approbierte psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie – weshalb hast Du Dich für diese Fachrichtung entschieden und nicht für eine der psychodynamischen Verfahren?
Das kann ich tatsächlich gar nicht genau beantworten. Ich wollte Menschen schnell und direkt helfen und ihnen konkrete Werkzeuge mit an die Hand geben. Da eignet sich die Verhaltenstherapie besonders gut. Ich beziehe aber auch Methoden aus der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie mit ein. An meinem Ausbildungsinstitut hatte ich das Glück, auch solche Seminare besuchen zu können. Ich betrachte immer den Menschen an sich und schaue was ihm gerade am besten hilft. Da ist die Therapieschule in dem Sinne erst einmal zweitrangig.
Studien zeigen, dass die Beziehung zum Therapeuten viel wichtiger ist als die Art der Therapie. Dennoch müssen sich die Patienten für eine Richtung entscheiden, wobei manche von ihrem Psychiater unterstützt werden und andere sich selbst über die Unterschiede und Zielstellungen informieren müssen. Was rätst Du Ratsuchenden, worauf sie bei der Therapeutensuche als auch bei der Auswahl des Verfahrens achten sollen?
Dafür gibt es keine allgemein gültige Antwort. Es gibt auch nicht DIE Therapie für eine bestimmte Störung. Was du in deiner Frage beschreibst ist das Äquivalenzparadoxon, welches Luborsky in Psychotherapiestudien gefunden hat. Es zeigt, dass es nur wenige Unterschiede in der Effektivität verschiedener psychotherapeutischer Orientierungen gibt. Der wichtigste Wirkfaktor für eine erfolgreiche Therapie ist die therapeutische Beziehung.
Bedeutet: wenn man Vertrauen zum Therapeuten hat, sich sicher und wohl fühlt, dann ist das Verfahren, in dem der Therapeut ausgebildet wurde, erst einmal zweitrangig.
Das zeigt sich schon allein dadurch, dass alle drei Richtlinienverfahren zu ähnlichen Ergebnissen kommen, obwohl die Theorien hinter der Verhaltenstherapie (VT), Tiefenpsychologie (TP) und analytischen Psychotherapie (AP) recht unterschiedlich sind.
Heutzutage ist es auch oft so, dass Therapeuten Methoden und Ansätze aus anderen Therapieschulen mit in die Arbeit einbeziehen. Ich finde z.B. viele Dinge aus dem tiefenpsychologischen Bereich spannend und nutze es vereinzelt auch, wenn ich denke, es sei sinnig.
Wenn man allerdings schon drei verhaltenstherapeutische (oder TP oder AP) Therapien gemacht hat, dann wäre es vielleicht sinnig einen anderen Ansatz auszuprobieren.
Was rate ich also jedem, der sich die Frage nach dem richtigen Therapieverfahren stellt? Gehe zu verschiedenen Therapeuten und schaue bei welchen du dich am Wohlsten fühlst. Das kann man meist auch nicht nach dem ersten Termin sagen. Genau aus diesem Grund gibt es ja auch die vier probatorischen Sitzungen und die sollte man auch ausnutzen.
Das Stichwort „Therapeutensuche“ ist ja seit Jahren eher negativ konnotiert – monatelange Wartezeiten lassen sich schließlich nicht schönreden. Auch die Psychotherapie-Reform im April 2017, wonach jeder Therapeut eine wöchentliche Sprechzeit einrichten musste, Patienten schneller einen Ersttermin und zumindest in Akutfällen 12 Sitzungen bekamen, hat das Ziel einer Verbesserung nicht erreicht.
Was müsste sich Deiner Meinung nach an der Gesetzeslage ändern, damit die psychiatrische Versorgung zufriedenstellend und zeitnah gewährleistet ist?
Ich glaube wir kommen um eine Neuschaffung von Kassensitzen, die an die echten Bedarfszahlen angepasst ist, nicht drum herum. Es kann nicht sein, dass Kassenpatienten monatelang auf einen Therapieplatz warten, obwohl es genug approbierte Psychotherapeuten gibt. Ich habe zum Beispiel keinen Kassensitz und kann mich ausschließlich durch Privatpatienten (die in meiner Stadt eher Mangelware sind) und Selbstzahlern finanzieren.
Wir brauchen absolut und dringend eine bessere Versorgung.
Außerdem glaube ich, dass die Hürden rund um das Thema online Beratung/Therapie gelockert werden müssen. Meine Berufsgruppe muss mit der Zeit gehen und wir Leben nun einmal in einem digitalen Zeitalter. Heutzutage wird viel über das Smartphone und den Laptop geregelt, die Menschen sind viel unterwegs oder arbeiten lange, sodass sie nicht um 14 Uhr am Dienstag regelmäßig in der Praxis von Frau Müller erscheinen können.
Du selbst bietest Deine Leistung für Privatpatienten und Selbstzahler an – hast Du einen Kassensitz beantragt? Wie lange dauert das in etwa, bis dieser bewilligt sein wird?
Beantragt habe ich keinen, aber ich stehe auf der Warteliste für den Kreis Steinfurt. Allerdings habe ich keine großen Hoffnungen, dass da zeitnah etwas geschieht.
Außerdem weiß ich gerade gar nicht, ob ich mich in dieses Hamsterrad mit den gesetzlichen Kassen begeben möchte, denn ich habe den Beruf der selbstständigen Psychotherapeutin gewählt, weil ich frei arbeiten möchte. Aktuell kommen immer mehr Richtlinien, Gesetze und Beschränkungen hinzu, sodass ich mich ganz ehrlich frage, ob ich das überhaupt will.
Zudem setze ich mich ja auf Instagram sehr für die Entstigmatisierung und Aufklärung ein und biete ja auch eine psychologische Onlineberatung an, die mir unglaublich viel Spaß bereitet. Dabei geht mein Herz auf und dies wäre mit einem ganzen Kassensitz schwer zu managen. Höchstens mit einem halben. Das wäre eine tolle Mischung und ich würde mir wünschen, dass das in Zukunft klappt.
Du gehst ja auch sehr offen mit Deiner eigenen Krisenerfahrung bzw. psychischen Erkrankung um und gibst diese als Grund für Deine Berufswahl an. Dadurch hast Du sicherlich einen Vorteil gegenüber Deinen Patienten im Vergleich zu Deinen Kollegen ohne diese „Zusatzqualifikation“. Gibt es für Dich auch Nachteile?
Für alle deine Leser, die mich nicht kennen: ich erkrankte mit 11 Jahren an einer schweren Magersucht und musste in der Klinik sehr unschöne Erfahrungen machen. Damals sagte ich mir: „Ich mache es einmal besser und werde Psychotherapeutin“. Das war auch der Grund, der mich immer hat weiterkämpfen lassen. Fast 20 Jahre …
Ich möchte mir ehrlich gesagt nicht anmaßen zu sagen, dass ich meinen nicht betroffenen Kollegen gegenüber einem Vorteil habe. Da würde ich ihnen unrecht tun, denn ich habe viele wundervolle und empathische Kollegen. Natürlich kann ich mich vielleicht etwas besser in die Patientenrolle hineinversetzen, da ich sie in den unterschiedlichsten Konstellationen und z.B. die Klinik auch aus Patientensicht kenne. Aber das macht letzten Endes den Therapieerfolg nicht aus.
Bisher hatte ich keine Nachteile durch meine Offenheit mit dem Thema. Vielleicht ist es gerade deswegen so. Da ich so offen damit umgehe, tue ich so zusätzlich etwas für die Entstigmatisierung, gehe mit gutem Beispiel voran und kann meinen Patienten gegenüber eine Vorbildfunktion einnehmen, denn ich finde: man darf drüber sprechen.
Mir selbst wurde häufig von Ämtern, Ärzten und Sozialarbeitern gesagt, dass ich als psychisch Erkrankte nicht in einem sozialen Beruf und erst Recht nicht mit anderen psychisch Erkrankten Menschen zusammen arbeiten sollte – sind Dir solche Vorurteile auch begegnet bzw. bist Du mit diesen heute noch konfrontiert, z.B. durch Patienten/Klienten oder andere KollegInnen?
Nein, das ist mir tatsächlich nicht begegnet. Ich bin im Studium und in der Psychotherapeutenausbildung immer sehr offen damit umgegangen und war dadurch nicht benachteiligt oder Vorurteilen ausgesetzt. Ich kann natürlich nicht hellsehen und weiß nicht, ob und wie über mich geredet wurde.
Ich denke, wenn man in diesem Bereich arbeiten möchte, dann muss man sich mit sich selbst, seiner Geschichte und Erkrankung auseinandergesetzt haben, stabil sein und sich notfalls erneut Hilfe suchen.
Seit einem Jahr schreibst Du öffentlich auf Instagram alias die psychotherapeutin über Psychologie, Therapie und räumst dort mit Vorurteilen auf – was hat Dich dazu bewogen, online für die Entstigmatisierung und Enttabuisierung psychischer Erkrankungen einzutreten?
Also, ich habe im Januar 2018 so richtig mit dem Account angefangen. Damals sollte es eigentlich nur eine Lernhilfe für meine Approbationsprüfung sein. Aber meine Posts fanden sehr schnell Interesse und nun sind es durch organisches Wachstum schon über 7700 Follower. Damit hätte ich nicht gerechnet.
Dadurch haben sich schon nach sehr kurzer Zeit meine Ziele verschoben und meine Motivation ist nun aufzuklären und zu entstigmatisieren. Ich erlebe es immer wieder bei Patienten, wie sie sich schämen zu mir zu kommen, weil Freunde oder Kollegen es ja mitbekommen könnten.
Ich finde, dass unsere Gesellschaft offen über psychische Erkrankungen reden sollte denn es kann jeden treffen. Da die meisten psychisch Kranken selbst nicht in der Lage sind, das Wort zu ergreifen und sich einfach nicht trauen, übernehme ich sehr gerne diese Rolle.
Welche Frage habe ich vergessen und was für Worte möchtest Du gerne noch auf meinem Blog hinterlassen?
Mir ist wichtig, dass das Bewusstsein dahingehend wächst, dass es eine Stärke ist, sich Hilfe zu suchen. Schämt Euch nicht für Eure Erkrankung und glaubt an Euch. Egal wie lange ihr schon krank seid. Mir sagte man damals auch in der Klinik, dass ich keine 20 Jahre alt werde. Ihr seht ja, wo ich heute stehe.
Außerdem: fangt an über Eure Erkrankung zu reden, denn so können wir eine Kettenreaktion auslösen und in der Gesellschaft mehr über unsere Psyche sprechen.
Vielen Dank für Deine Zeit und Deine offenen Antworten, Anke 😉
Mehr von Anke Glaßmeyer erfahrt ihr auf ihrem Instagram-Account diepsychotherapeutin und natürlich auch auf ihrer Homepage.
1 Kommentar zu „Ich hab da mal ne Frage … an die Psychotherapeutin Anke Glaßmeyer“
Sehr spannender Artikel!
Ich schaue von der anderen Seite (bin sowohl mit Transaktionsanalyse unterwegs als auch in Ausbildung an einem C.G. Jung-Institut; also analytische Psychologie) und freue mich sehr über die Offenheit und die Aufklärungsarbeit, die die Kollegin hier leistet! Die Sache mit der Bedarfsplanung und den viel zu wenigen Kassensitzen ist mir auch ein Anliegen. Dem Hamsterrad „Kassensitz“ möchte ich mich allerdings auch nicht beugen…