In meinem ersten Teil „Urlaub oder psychiatrische Tagesklinik – Ein Erfahrungsbericht“ bin ich auf meine Zeit vor der Tagesklinik eingegangen und habe von den Morgenrunden und der Ergotherapie berichtet. Nachfolgend erhältst Du einen Einblick in die Kunsttherapie, Imaginationsübungen und aus welchem Grund es Nachmittagsausflüge und bunte Nachmittage gibt.
Kunsttherapie in der Tagesklinik – Mehr als nur Malen nach Zahlen
Die Kunsttherapie ist und war eine sehr intensive Therapie-Einheit. Non-verbal versuchte ich hier, einen Zugang zu meinen Gefühlen, meinem Unbewussten, meinem Inneren zu finden. Es ging nicht darum, dass schönste Bild zu malen, sondern darum, etwas aus meinem Inneren herauszulassen.
Mir selbst fiel das mehr als schwer – wie lässt man Traurigkeit, Verzweiflung und Einsamkeit raus? Und was hab ich davon, wenn ich nun einige Farbkleckser auf das Papier bringe? Ich war nach wie vor skeptisch und sehr in meinem Denken verankert. Ich dachte, nur wenn ich über meine Probleme rede, können sie gelöst werden – aber doch nicht durch malen …
Nun, es hat einen Moment gedauert, ehe ich begriff, dass auch ich meinen Gefühlen nur selten durch mein Denken begegnen kann. Es sind schließlich E-motion-en. Motion – das englische Wort für Bewegung. Da muss mehr passieren, als „nur“ denken. Ich kann beispielsweise über meine Wut reden, doch rauslassen kann ich sie erst, wenn ich mal richtig auf den Tisch haue oder auf einen Box-Sack einprügele. Und ähnlich ist das in der Kunsttherapie – nicht das Denken steht im Vordergrund, sondern das Gefühle-rauslassen!
Mein Verlauf in der Kunsttherapie war im Nachhinein recht interessant. Anhand einer Collage, die zum Ausdruck brachte, wie ich mich als Kind gefühlt habe, konnte ich meine Gefühle zumindest erst einmal erkennen, wahrnehmen und sogar auf Papier bringen. Und in diesem Bild stecken mehr Gefühle als ich es je hätte aussprechen können.
Zu der Zeit (die Tagesklinikaufenthalte waren 2012, 2014 und 2015) konnte ich noch nicht wirklich über diese Gefühle reden. Ich hatte keine Worte dafür. Und doch konnte ich sie etwas rauslassen. Wenn auch „nur“ non-verbal auf Papier.
Die Einsamkeit als Kind, die Überforderung und Vernachlässigung durch familiäre Bezugspersonen und meine damalige Hilflosigkeit – sie waren trotz des Malens noch in mir. Aber anhand der Collage konnte ich es „aussprechen“. Von der Therapeutin wurde es gesehen. Und das fühlte sich ähnlich befreiend an, wie wenn ich durch Weinen meiner Traurigkeit Ausdruck verlieh.
Was ich gerne schon vor meinen Therapien und dem Aufenthalt in der Tagesklinik gewusst hätte …
Hier bekommst Du nicht nur eine Ladung Wissen, sondern auch jede Menge praktische Tipps, die Du direkt im Alltag anwenden kannst. Die Selbsthilfemethoden sind aus den Bereichen Resilienz, Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Imagination. Mit diesen Übungen weckst Du Deine inneren Ressourcen und gehst gestärkt durch den Alltag.
Mein Ziel ist es, dass Du nicht nur die fachlichen Grundlagen zur Selbstfürsorge und Selbsthilfe lernst, sondern auch herausfindest, wo Deine persönlichen Hindernisse liegen.
Der Online-Kurs hilft Dir zu verstehen, was Akzeptanz wirklich bedeutet und wie Du damit Deine Gefühle besser managen kannst. Und ab und zu gibt’s auch ein paar persönliche Einblicke von mir, um Dich noch besser zu unterstützen.
Und auch wenn es etwas befreiend ist, so ist es doch auch ein schmerzhafter Prozess. Auf dem Bild vor mir waren verschiedene Scherben meiner Kindheit dargestellt. Die Gefühle sind aus dem tiefsten Keller meiner Seele ans Tageslicht gerückt – es ist zwar auf Papier, dennoch bin ich damit konfrontiert und muss es aushalten – Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit.
Es ist ähnlich, wie mit der Trauer um einen Verstorbenen. Ich kann das alles verdrängen – oder ich lasse es raus. Wenn ich die ganze Zeit weine und traurig bin, dann hilft das Weinen zwar, doch ich muss diese Trauer auch erstmal aushalten. Rational weiß ich, dass mit jedem Tag und jeder Träne, der ich Zeit und Raum gebe, meinen Schmerz rauslassen kann. Aber ganz offen gesagt: Just in dem Moment ist das einfach mal total schwer und schmerzhaft … auch wenn es hilfreich ist.
Warum es soziale Aktionen wie Ausflüge in der Tagesklinik gibt
Als ich sah, dass wir einmal die Woche nachmittags einen Ausflug machen und dazu einmal die Woche nachmittags einen bunten Nachmittag haben, wo gespielt oder gebastelt wird, wurde mir ja erstmal schlecht. Darauf hatte ich überhaupt keine Lust – ich bin immerhin nicht in einer Klinik, um zu spielen, zu backen oder um mit anderen – mir fremden Menschen – in einen Park zu gehen.
Gezwungenermaßen fuhr ich also mit den anderen Patient:innen und dem Klinik-Team zu einem Museum, spazierte durch einen Park oder spielte Karten. Ja, es war ab und an lustig und lenkte mich auch ab, doch erst ein paar Wochen später habe ich wirklich verstanden, was diese Nachmittage eigentlich mit mir machten.
Menschen mit Depressionen neigen zum Grübeln. So auch ich. Es ist ein klassisches Symptom. Permanent ist diese Gedankenschleife im Kopf, auf der Suche nach einer Antwort. Das ist mehr als erschöpfend, zumal das Grübeln in den seltensten Fällen ein Ergebnis hervorbringt. Doch ein „Denk doch nicht so viel nach!“ ist viel leichter gesagt als getan. Es ist für viele Betroffene von Depressionen kaum möglich, nicht über die eigenen Probleme nachzudenken. Doch wie ein Sportler oder eine Sportlerin, braucht auch unser Kopf ab und an eine Pause. Die muss jeder sich selbst gönnen, um Kraft zu tanken. Klingt wie so ein trashiger Kalenderspruch, ist einfacher gesagt als getan und mich nervte es dezent …
Nun denn, genau das war ein Punkt, warum es diese Ausflüge und bunten Nachmittage gab. – Sich mit etwas schönem ablenken, den Blick auf die Umgebung richten und nicht nur in der Vergangenheit graben.
Ein weiteres klassisches Symptom der Depression ist die Freudlosigkeit. Es geht einfach nichts. Ich spürte dieses Gefühl schlichtweg nicht. Auch diesen Zugang musste ich neu entdecken und füttern. Und das ist bei mir an einem dieser bunten Nachmittage passiert – ich habe gemerkt, wie gerne ich doch eigentlich Spiele mag.
Und dies ist in dem Fall auch eine Art der Selbstfürsorge: Dinge zu finden, die einem selbst Freude bereiten, ohne das ein großer Zweck dahintersteht – diese jedoch sinnvoll sind.
Sport, Phantasiereisen und Entspannungsübungen
Es gibt ja verschiedene Formen von Depressionen. Bei der agitierten Form fehlt beispielsweise das Symptom der Antriebslosigkeit – ein Hauptsymptom der „klassischen“ Depression. So war das auch bei mir. Mir fehlte die Kraft, die Motivation und der Antrieb zu allem und jedem. Oft spürte ich meinen eigenen Körper nicht, sondern war nur in meinen eigenen Gedanken und Gefühlen gefangen.
Von Natur aus bin ich eher so der unsportliche Typ. Ich mag es einfach nicht (auch wenn ich inzwischen merke, dass es mir beim Stressabbau dennoch gut tut.). Wenn Du aber etwas nicht magst und noch dazu antriebslos bist, ist das schon eine ungünstige Kombi … Somit fand ich es immer immens anstrengend, wenn Yoga oder Rückenschule auf dem Programm stand. Doch im Nachhinein fühlte es sich gut an. Mein Körper war ausgepowert, manchmal war ich so sehr mit den Übungen beschäftigt, dass ich nicht über mich und mein Leben nachdachte. Und ich spürte meinen Körper – fühlte den Muskelkater, fühlte, dass zumindest mein Körper lebt.
Die Phantasiereisen und Entspannungsübungen klingen zwar schön, sind für viele Menschen mit Depression oder Angststörung jedoch oftmals alles andere als einfach. Man lernt anhand der Phantasiereisen (auch Imaginationsübungen genannt), sich an einen schönen Phantasie-Ort zu träumen, wo man sich wohl und sicher fühlt.
Gerade Menschen mit Traumata werden oft von ihren Gefühlen der Hilflosigkeit und Angst übermannt. Das Erlebte ist so nah, als wäre es vor fünf Minuten geschehen und nicht vor 10 Jahren. Die Angst, Anspannung und Panik von damals ist gegenwärtig.
Mithilfe von Imaginationsübungen schafft man sich einen sicheren Ort, um sich selbst wieder runterzufahren und einzufangen. Auch, um wieder im Hier und Jetzt zu landen. Die Imaginationsübungen dienen der Stabilisierung. Wenn das Trauma z.B. in dem Einzelgespräch thematisiert wird, ist es gegenwärtig. Doch das Einzelgespräch ist nach einer Stunde vorbei, man geht zurück in seinen Alltag und hat in einer Woche erst den nächsten Gesprächstermin. Zudem braucht man ja auch davon eine Pause. Hierbei helfen die Imaginationsübungen, sich wieder wohler und in sich sicher zu fühlen. Dies ist auch eine Art der Entspannungsübung, um sich von seinen Ängsten und der inneren Anspannung zu lösen.
Das alles ist ein langer Prozess und viele Imaginationen muss man einfach mehrmals üben, bis sie wirken. Auch bei mir funktioniert das damals nicht richtig. Grundsätzlich fand ich diese Phantasiereisen spannend und auch irgendwie schön, aber ich konnte mich nicht darauf einlassen. Das still sitzen oder liegen in der Gruppe, das Entspannen zu einem bestimmten Zeitraum, das sich fallen lassen – all das machte mich nervöser, als ich eh schon war. Das ist eigentlich untertrieben – ich stand oft kurz vor einer Panikattacke.
Heute, neun Jahre nach meinem letzten Tagesklinik-Aufenthalt kann ich Dir sagen, dass mir die Imaginationsübungen richtig gut helfen. Und nein, nur weil es bei mir so lange dauerte, bedeutet das keineswegs, dass es bei Dir ebenso ist! Demnächst beende ich nochmal eine ambulante psychotherapeutische Therapie und in dieser habe ich das Vertrauen in die Therapeutin gefunden und konnte mich intensiver auf solche Sachen einlassen. Darüber schreibe ich gerne demnächst nochmal mehr.
Aber gerade die Arbeit mit Inneren Helferlein und einem Inneren Sicheren Ort unterstützen mich sehr gut im Alltag, wenn ich angespannt, nervös oder mit Intrusionen konfrontiert bin.
Tagesklinik adé – biste jetzt gesund?
Mir wurde von Angehörigen nach meinem Klinikaufenthalt oftmals gesagt, dass es mir doch nun besser gehen müsste. In vielen Teilen ging es mir auch besser. Nur war es noch nicht zu Ende. So gerne ich es auch gehabt hätte, doch in acht Wochen Klinikaufenthalt kann man sich nicht soweit ändern, dass man gesund heraus geht. Abgesehen davon ist natürlich auch die Frage, was „psychisch gesund“ überhaupt bedeutet …
Um psychische Gesundheit geht es übrigens auch am Sonntag, den 21.04.24:
Mal abschalten, grundlegende psychologische Inputs erhalten und praktische Übungen aus den Bereichen der Resilienz kennenlernen – darum geht´s in der „Zeit für mich“. Einmal im Monat treffen wir uns an einem Sonntagnachmittag von 17 bis 19 Uhr online via Zoom. Diesen Treffen kannst Du anonym beiwohnen, musst keine Kamera und auch kein Mikrofon anhaben.
So, 21.04.2024, 17-19 Uhr: Sind wir alle psychisch krank?
Entdecke die Grenzen von „Normalität“! Von Gesundheit über Symptome und Krisen bis hin zu Krankheit – wir beleuchten verschiedene Facetten. Lerne das „V-N-S-Modell“ kennen und identifiziere Deine eigenen Risiko- und Schutzfaktoren. Mit interaktiven Übungen und Selbstreflexion gewinnst Du Klarheit und Stärke für Dein Wohlbefinden.
So, 26.05.2024, 17-19 Uhr: Achtsamkeit – psychologisch betrachtet
So, 23.06.2024, 17-19 Uhr: Selbstfürsorge – wieso, weshalb, warum?
Die Zeit in der Tagesklinik dient oftmals der Krisenintervention und/oder der intensiven Bearbeitung eines Themas, z. B. eines traumatischen Erlebnisses. Doch in einer Klinik wird nur der Grundstein gelegt. Die Arbeit wird dann, wenn man stabiler ist, in einer ambulanten Therapie fortgesetzt. Ich selbst war anschließend für ca. drei Jahre nochmal in einer ambulanten tiefenpsychologisch fundierten Therapie. Nach deren Ende wusste ich, dass manche Themen noch offen sind und ich irgendwann nochmal eine Therapie machen werde – diese fing ich Anfang 2020 an und werde sie demnächst beenden.
Zu erklären, wie man sich fühlt, wenn man depressiv oder krankhaft ängstlich ist, ist alles andere als leicht. Ebenso schwierig ist es für Außenstehende nachzuvollziehen, was da mit dem Betroffenen eigentlich passiert. So ist es auch schwer, zu erklären, was in einer Klinik mit einem passiert.
Ich kann im Nachhinein sagen, dass nahezu jede Therapie-Einheit etwas in sich hatte, die mich ein Stück vorwärts brachte – auch wenn sich mir der Sinn oftmals erst im Nachhinein erschloss.
In einer Klinik oder auch in einer ambulanten Therapie stellt man sich seinen Gefühlen. Psychotherapie, egal welcher Art und Form, ist ein Weg zu sich selbst, ein sich-in-Frage-stellen.
Man erforscht die inneren Konflikte, durchläuft die Trauer, den Schmerz und die Verzweiflung. In einer Psychotherapie erzählt man nicht nur, was alles so schlimmes passiert ist (auch wenn es, wie gesagt, wichtig ist, dass rauszulassen) – nein, man erarbeitet neue Wege, wie man selbst handeln könnte und wie man mit belastenden Erlebnissen umgeht.
Psychotherapie ist vor allem Arbeit an sich selbst.
Und das ist alles andere als Entspannung und Urlaub.