
„Als ich in Deinem Alter war, war ich auch öfter nervös.“, sagte er damals zu mir, als ich ihm von meinen Angst- und Panikattacken erzählte.
Nervös … ich wäre froh, wenn ich nur nervös wäre. – Ich habe Angst
Ich stehe auf der Straße, warte auf den Bus und habe Angst.
Angst, dass ich gleich umkippe, weil sich mir alles dreht.
Angst, dass mir von meinen Schwindelgefühlen ganz schlecht wird.
Angst, dass ich mich in der Öffentlichkeit übergeben muss.
Angst, dass ich auffalle.
Angst, dass alle über mich lachen, weil ich mich blamiere.
Angst, dass vor meinen Augen ein Unfall passiert.
Angst, dass ich nicht helfen kann.
Angst, dass jemand in meiner Nähe plötzlich stirbt.
Angst, dass ein Flugzeug vom Himmel stürzt.
Angst, dass in einem Haus plötzlich eine Gasleitung explodiert und alles in Flammen steht.
Angst, dass jemand mit dem Messer auf andere und mich einsticht.
Angst, dass jemand eine Waffe zückt.
Angst, dass ich einem Anschlag zusehen muss.
Angst, dass vor meinen Augen jemand entführt wird.
Angst, vor Macht- und Hilflosigkeit.
Natürlich sind diese Ängste – und das ist nur ein kleiner Ausschnitt, der sich auf die 5 Minuten bezieht, während ich auf den Bus warte – völlig unreal und weit hergeholt. Dass ist meiner Angst egal … sie ist dennoch da.
„Du brauchst keine Angst zu haben.“, sagen so viele. Hhm, ja stimmt, haste recht. Okay, ich habe keine Angst mehr. – … als ob meine Angst eine Entscheidung ist, die ich aus Lust und Laune treffen kann.
Ich weiß das ja. Ich weiß, dass meine Katastrophengedanken mehr als unwahrscheinlich sind. Ich weiß, dass ich an einem relativ sicheren Ort bin und nicht der Boden unter meinen Füßen plötzlich aufreißen wird. Ich weiß das … dennoch ist die Angst „einfach“ da.
Insoweit hilft mir der Satz, ich bräuchte keine Angst zu haben, überhaupt nicht weiter. Im Gegenteil, er setzt mich unter Druck. Und ich bereue, dass ich davon erzählte, denn Du verstehst nicht und möchtest es wohl auch nicht verstehen. Vor allem fühle ich mich nicht ernst genommen.
Wären es nur die Gedanken, wäre es nur Nervösität, die in ein paar Minuten verfliegt … wäre es keine Angst. Angst ist jedoch nicht nur in meinem Kopf und meinem Gefühl, sondern auch in meinem Körper:
Ich habe Hitzewallungen während mir kalt ist, ich habe Kopfscherzen, Herzrasen, Gleichgewichtsprobleme, weiche Knie, Kälteschauer, Atemprobleme und spüre immense Anspannung und Druck in mir.
Ich stehe kurz vor einer Panikattacke.
Bei einer „richtig“ ausgewachsenen Panikattacke glauben viele, dass sie gleich einen Herzinfarkt bekommen, die Kontrolle über sich und ihre Körperfunktionen verlieren und gleich sterben werden.
Noch habe ich etwas Kontrolle über mich. Noch habe ich „nur“ Angst. Ich habe zwar Angst, durchzudrehen, doch noch stehe ich gerade da.
Eine ganze Armee voller Katastrophengedanken im Kampf gegen mich. – Wirklich gegen mich?
Viele raten mir, ich solle mich von der Angst ablenken, etwas lesen, mit dem Handy spielen oder Achtsamkeitsübungen machen. Dies hilft mir auch für den Moment, jedoch nicht langfristig.
Die Frage bei der Angst ist genauso wie bei der Depression: Warum ist sie da? Was will sie mir sagen?
Vor etwa 5 Jahren, als ich „richtige“ Panikattacken hatte, half mir das Hinterfragen meiner Ängste. Ich war in einer tiefenpsychologisch-fundierten Tagesklinik und erkannte, wovor ich „wirklich“ Angst hatte bzw. habe. Dadurch konnte ich meine Panikattacken ablegen, worüber ich in diesem Beitrag schrieb: „Ich verließ meine Komfortzonen und besiegte meine Panikattacken„.
Mit Hilfe meiner Therapeutin erkannte ich, dass man manchmal Angst vor etwas hat, weil man sich vor etwas anderem fürchtet.
Ich glaube, dass mir meine jetzigen Angstzustände auch etwas sagen möchten. Ich habe auch eine Vermutung, möchte diese aber nicht wahrhaben. Es sind Themen, die mir Angst machen. Demnächst jähren sich 2 Todestage zum 4. Mal. Es stehen berufliche Veränderungen an. Ich möchte was in der Beziehung zu meinen Eltern ändern (d.h. ich stelle mich einem Konflikt). Und ich muss mich einer Behandlung stellen, die meine körperliche Gesundheit betrifft.
Es gibt so einiges und doch denke ich, ach nee, dass ist doch nichts schlimmes, stell Dich mal nicht so an. Ich kämpfe noch zu oft gegen mich, anstatt es „einfach“ zu akzeptieren. Es ist vielleicht objektiv gesehen auch nichts schlimmes – doch in mir tun sich da Abgründe auf. Trauerverarbeitung ist da das Thema Nr. 1 vor dem ich mich scheue …
Und so sitze ich jetzt hier mit meiner Angst und warte … warte, dass die Watte aus meinem Kopf verschwindet, mir nicht mehr übel ist und ich klar denken kann. Ich warte darauf, dass sich was ändert.
Ab und zu ist es okay, abzuwarten und zu schauen. Ich bin die nächsten Tage auch alleine, sodass ich mich komplett alleine in mir und meiner Höhle zurückziehen kann. Ja, darauf freue ich mich, denn nicht immer ist für jeden frische Luft gut und hilfreich.
Und doch werde ich auch tätig – heute z.B. fahre ich noch zu meiner Therapeutin und werde ihr davon erzählen. Das klingt einfach, ich weiß … doch das Schwierige ist, dass es durch das Erzählen alles noch wahrer und realer wird. Während ich mich am liebsten in der Bettdecke eingekuschelt verkriechen möchte und alles von mir abschotten möchte, gehe ich raus, werde mal wieder auf den Bus warten, zu ihr fahren und mich diesem Gespräch und den Themen stellen. Es ist insofern doppelt schwierig.
Und doch ich glaube daran, dass es mir gut tun wird. Und ich glaube auch irgendwie, dass ich auch aus dieser Angst-Krise wieder herauskommen werde. Ich glaube … das nennt man Hoffnung.
Fühlt sich irgendwie komisch an …