Alleine sein! Kann ich ganz gut. Bin ich auch oft. Von daher machte ich mir keine großen Gedanken, als mein Freund vor drei Wochen meinte, er ist demnächst für ne gute Woche beruflich in einer anderen Stadt.
Im Vorfeld schmiedete ich große Pläne – ich wollte die Zeit nutzen, um meine ganzen Gedanken und Ideen auf Papier zu bringen. Ich wollte mein Buch weiterlesen, Imaginationsübungen ausprobieren, meinen Schal zu Ende stricken, rausgehen und Fotos machen. Ich wollte die Wohnung komplett aufräumen und liegen gelassene Papiere sortieren. Ich wollte Zeit für mich haben, was auch immer das heißt.
Ich wollte, wollte, wollte … und dachte, damit hätte ich nen Plan
Die ersten zwei Tage verliefen relativ gut, doch dann kam ein falscher Anruf, der mich aufwühlte, verletzte und mich aus meinem vermeintlichen Gleichgewicht brachte. Ich lag am Boden. K.o. Allein.
Zunächst war ich froh, dass ich in dem Moment alleine war und niemand sah, dass es mir schlecht geht. Ja, wirklich! Noch zu oft mache ich gerne meine Probleme mir mir alleine aus, weil ich das alleine schaffen möchte, weil ich stark sein will – weil andere das doch auch können.
So habe ich mich in mir und meiner Höhle zurückgezogen. Keinen an mich ran gelassen. Keinem gesagt, was mit mir los ist. Meinem Partner einen ehrlichen Kontakt zu mir verweigert und ihm dafür ne heile Welt vorgespielt.
Und damit gingen die nächsten Tage richtig schief.
Ich schlief so gut wie gar nicht und das viel zu lange. Der Tag lebte vor sich hin und ich schaute ihm dabei zu. Ich habe weder geschrieben, gestrickt, gelesen noch aufgeräumt. Ich habe es nicht geschafft, mich angemessen um mich zu kümmern. Ich konnte mir nichts gutes tun, weil ich nicht wusste, was das sein könnte. Mir war langweilig, in mir glänzten meine Gefühle in ihrer Abwesenheit und ich wusste nicht, was ich wollte.
Dafür habe ich lange die Wand angestarrt, ab und an auch den Himmel. Ein bisschen Abwechslung muss sein.
Ich suchte die Stille und Ruhe, wollte für mich alleine sein, doch verharrte in dem Alleine-sein, bis es unerträgliche Einsamkeit wurde
Jetzt könnte man meinen, dass man sich doch dann mit anderen Freunden trifft um sich abzulenken. Ja, könnte man meinen – doch das geht in dem Moment nicht.
Ich konnte keinen anrufen – viel zu viele Argumente sprachen dagegen. Wer will sich schon mit jemandem treffen, der niedergeschlagen ist und den ganzen Tag apathisch die Wand anstarrt?
Und wollte ich vor anderen Menschen etwas vorspielen, damit es für sie ein schönes Treffen wird? – Nein? Wollte ich mich bei ihnen ausheulen über etwas, was sie nicht verstehen? – Nein! Gibt es einen Mittelweg zwischen den beiden Aussagen? – Nein!
Und offen gesagt, ich hätte nicht wirklich gewusst, wen ich hätte anrufen können. In den letzten Jahren habe ich viel zu viele Kontakte aufgrund depressiver Schübe vernachlässigt. So oft war und bin ich der Überzeugung, dass niemand mit mir etwas zu tun haben will, erst recht nicht, wenn es mir schlecht geht.
Und so rutscht man von der Bühne seines Lebens schleichend in den Zuschauerraum und schaut den anderen vom Rand aus zu. Man ist nicht mehr mittendrin. Depressionen drängen einen an den Rand des Lebens.
Und so war und blieb ich allein für mich. Nur dass es kein schönes Alleine-sein mehr war. Ich fühlte mich einsam.
Meine einzigen sozialen Kontakte waren, neben den kurzen Telefonaten mit meinem Freund, unser freundlicher Postbote und eine genervte Kassiererin. – Und mein Zahnarzt!
Der Besuch, so unangenehm der auch war, war toll. Man könnte sagen, der Besuch hat mich in meinem Kopf angestupst. Auch ich mag Zahnärzte aufgrund ihres Berufes nicht, doch er unterhielt sich nett mit mir, fragte mich nach meinen Urlaubsplänen und erzählte von sich, dass er auch mal ein Ohr-Piercing hatte. Damit hat er mich nahezu komplett von meiner Nervosität abgelenkt.
Zudem war es ein nettes Gespräch und ich merkte, dass ich es schön fand. Das wiederum tat mir gut. Im Nachhinein dachte ich sogar, dass ich mich gerne länger unterhalten hätte.
Auch wenn sie mir manches Mal zu viel und zu anstrengend sind, so ist mir einmal mehr bewusst geworden – ich brauche Menschen. Menschen, die Verständnis für mich haben. Menschen, die zu mir halten egal ob die Sonne scheint oder es aus Kübeln gießt. Menschen, mit denen ich mein Leben teilen kann. Ich brauche nicht nur meinen Freund, sondern auch andere Menschen um mich herum.
Einsamkeit ist eine Gefängniszelle, die sich nur von innen öffnen lässt
Das habe ich mal irgendwo gelesen. Ich versuche seit einigen Wochen in einer Depressions-Selbsthilfegruppe, meine Tür etwas zu öffnen. So habe ich wenigstens einmal die Woche eine Art Verpflichtung, meine Wohnung zu verlassen. Ich komme unter Leute, die ihre eigenen Erfahrungen mit Depressionen und Einsamkeit haben. Ich weiß noch nicht genau, wie sehr es mir dort gefällt und ob das etwas für länger ist. Doch es ist mein Anfang, einen Schritt aus meinem inneren Gefängnis herauszukommen.
Vor ein paar Wochen schrieb ich nahezu euphorisch, dass ich aus meiner letzten Depression raus gekommen bin. Ich glaube, dem war auch so. Zumindest ein Stück weit.
Die Tage jetzt haben mir gezeigt, wie leicht ich doch wieder rein rutschen kann. In die Leere, in die Antriebslosigkeit, in das Etwas, wo nichts mehr geht.
Mittlerweile ist die Woche seit ein paar Tagen rum und mein Freund wieder daheim. Ich stehe pünktlich auf, esse regelmäßig, gehe nicht zu spät schlafen und fülle die Zeit zwischendurch relativ sinnvoll. Es ist alles wieder wie gehabt.
Was bleibt, ist die Enttäuschung! – Über mich.
Alleine sein! Kann ich eigentlich ganz gut. Dachte ich zumindest.