
Mein Zimmer ist am hellichten Nachmittag abgedunkelt. In Schlumpi-Klamotten sitze ich auf meinem Bett und bin allein. Alleine zu sein, tut mir in der Depression oftmals gut. Da kann ich ICH sein, auch wenn ich gerade nicht weiß, wer oder wo mein ICH ist. Ich brauche mich nicht zusammenreißen und mein ICH kann sein wie es ist – depressiv.
In den letzten Wochen hatte ich es zwar selbst gemerkt, wie sich die Depression anschlich, doch ich habe nicht sonderlich darauf geachtet. Ich dachte, wegen (vermeintlichen) Kleinigkeiten kann ich mich jetzt nicht gehen lassen und müsste mich zusammenreißen – und genau das war mein Fehler.
Durch das Zusammenreißen wurde die Depression nur schlimmer.
Obwohl ich jetzt seit über 10 Jahren die Diagnose Depression habe, fällt es mir schwer, die einzelnen Phasen zu akzeptieren. Ich möchte die gar nicht, versuche sie bzw. die depressiven Gedanken und Gefühle zu verdrängen und schade damit mir selbst. Und so rutsche ich erst recht immer weiter ab.
Weil ich das in mir verdränge, was beachtet werden möchte.
In der letzten Zeit sind schöne Dinge passiert, bei denen ich dachte, darüber muss ich mich doch jetzt freuen. Dinge, die nicht zeitgleich mit einer Krise von mir einhergehen können.
Ich habe ein neues Ehrenamt anfangen können, bin zum zweiten Mal Tante geworden, habe eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten und die Zahl der Leser auf meinem Blog wächst. Alles schöne Ereignisse, für die ich dankbar bin und über die ich mich freue – wenn ich es denn jetzt auch fühlen würde.
Dass ich Stress mit dem Arbeitsamt bzw. der Rentenversicherung habe , alte Beziehungskonflikte in mir trage und meine Trauerzeit begonnen hat, aufgrund der bevorstehenden Todestage – all das wollte ich nicht wahrhaben und wahrnehmen.
Darum wollte ich mich nicht kümmern, immerhin gab es genügend Gründe zur Freude.
Das fatale am Zusammenreißen ist, dass man sich letzten Endes verstellt. Man betrügt sich selbst, auch wenn man das nicht gleich und sofort bewusst macht.
Andere sagen so oft „Nun reiß Dich doch mal zusammen und blick nach vorn!“. Wie oft nervt und verletzt mich das. Nun habe ich das selbst zu mir gesagt und mich dadurch vernachlässigt. Umso größer ist jetzt auch mein Ärger auf mich selbst – immerhin hätte ich aufgrund meiner Erfarung die Depression kommen sehen müssen.
Mit einem verstauchten Knöchel startet man keinen Marathon – so ähnlich habe ich es dennoch gemacht. Weil ich es von mir selbst erwartet habe und nicht dem Schweren die Überhand gewähren lassen wollte.
Zusammenreißen und gegen die Depression zu kämpfen, bedeutet auch, gegen sich selbst zu kämpfen.
Das heißt jetzt nicht, dass ich für die Depression kämpfen werde. Nein, ich möchte mit ihr kämpfen. Denn sie trägt auch einen Sinn in sich – depressive Verstimmung oder direkt eine Depression macht mich auf Missstände in meinem Leben aufmerksam. Wenn ich meine Gedanken und Gefühle hinterfrage, die mich in die Krise gestürzt haben, wird mir deutlich, was mich in meinem Leben stört und was schief läuft.
Insofern ist das Zusammenreißen ironisch – da ich einerseits für mich und ein lebenswerteres Leben kämpfe und andererseits zugleich gegen mich kämpfe, da ich depressive Anzeichen missachte und ignoriere.
Dass das Zusammenreißen in sich völlig gegensätzlich ist, zeigt das Wort selbst … Zusammenreißen … ich kann mich auch nicht gesundsterben oder etwas heilezerbrechen oder zusammensplittern …
Das Zusammenreißen kostet mich unheimlich viel Energie – Energie, die ich doch brauche, um meine Probleme und Herausforderungen effektiv anzugehen.
Meine jetzige Depression zwingt mich dazu, innezuhalten und meine Baustellen näher zu betrachten. Sie fordert nun auf direkte Art ein, was mir die seelischen Bauchschmerzen schon vor 2 Wochen sagen wollten: Kümmere Dich um Dich!
Und damit haben depressive Verstimmungen bzw. Depressionen eine gewisse Signalfunktion. Wenn wir uns zusammenreißen, missachten wir dieses Signal und hören nicht auf unser innerstes. Wir verbiegen uns und achten nicht auf die Botschaften unserer Seele – sei es, dass wir mehr Schlaf und Entspannung brauchen, uns manche Menschen nicht gut tun oder wir einen unverarbeiteten Konflikt in uns tragen.
Auf die Botschaften der Seele verwies auch der Analytiker Carl Gustav Jung:
Die Depression ist gleich einer Dame in Schwarz. Tritt sie auf, so weise sie nicht weg,
sondern bitte sie als Gast zu Tisch und höre, was sie zu sagen hat.
Mir zeigt meine derzeitige Depression, dass ich eindeutig die Grenzen meiner emotionalen Belastbarkeit überschritten habe. Wie gesagt, ich bin Tante eines gesunden Mädchens geworden, was mich sehr freut – doch andererseits ist jetzt auch die Zeit, wo ich selbst einmal schwanger war, dieses Kind jedoch in mir gestorben ist.
Freude und Trauer sind in mir aufeinandergeprallt, da ich mit meinem Verlust überhaupt noch nicht klarkomme. Aber dazu schreibe ich vielleicht demnächst einmal mehr habe ich hier etwas geschrieben: Auch ein Sternenkind ist ein Kind
Und weil ich dachte, ich müsse mich zusammenreißen und jetzt Freude empfinden, bin ich meine Schwester und ihre Familie besuchen gefahren … Es war schön, ich freue mich sehr über die Kleine … doch gleichzeitig fuhr ich meine eigene Seele gegen den Baum.
Totalschaden, doch überlebt. Ohne Knochenbruch, dafür mit Depression.
Ein komplizierter, zersplitterter Seelenbruch.
Und das nur, weil ich der Meinung war, ich müsste mich zusammenreißen.