Achtsamkeit ist eine beliebte Methode, um Stress abzubauen, die eigene Gesundheit zu fördern und das Wohlbefinden zu steigern. Doch was, wenn Achtsamkeit selbst zum Stressfaktor wird? Wenn man sich unter Druck setzt, ständig achtsam zu sein, oder wenn man sich schuldig fühlt, wenn man es nicht schafft? Wenn man sich mit anderen vergleicht, die scheinbar mühelos meditieren oder Yoga machen? Wenn man sich von den Erwartungen und Angeboten der „Achtsamkeitsindustrie“ überfordert fühlt? Was, wenn einem Achtsamkeit nicht hilft oder gefällt?
Wenn aus Achtsamkeit Stress wird
Dieses Phänomen nennt sich Achtsamkeitsstress. Es kann entstehen, wenn man Achtsamkeit als eine weitere Aufgabe oder Pflicht betrachtet, die man erfüllen muss, anstatt als eine freiwillige und angenehme Praxis. Es kann auch entstehen, wenn man Achtsamkeit als ein Allheilmittel ansieht, das alle Probleme lösen kann, anstatt als eine Unterstützung, die einem hilft, besser mit ihnen umzugehen. Es kann auch entstehen, wenn man Achtsamkeit als eine Leistung misst, die man optimieren oder perfektionieren muss, anstatt als einen Prozess, der individuell und flexibel gestaltet werden kann.
Stell Dir mal vor, Du wärst 24/7 achtsam … Ist das überhaupt möglich, immer und überall achtsam zu sein? Welche Auswirkungen hätte dies auf das eigene Leben und die Beziehung zu anderen?
Ich denke, die Antworten auf diese Fragen ist nicht eindeutig, da es verschiedene Arten und Grade von Achtsamkeit gibt. Manche Menschen praktizieren Achtsamkeit als eine bewusste Übung, die sie zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Situationen anwenden. Andere versuchen, Achtsamkeit als eine allgemeine Haltung zu kultivieren, die sie in jedem Moment ihres Lebens begleitet. Wieder andere sehen Achtsamkeit als einen spirituellen Weg, der sie zu einer tieferen Verbindung mit sich selbst und dem Universum führt.
Aber auch hier die Frage: Ist dies 24/7 möglich? Ständig mit sich selbst in Verbindung zu sein? Möchte ich das überhaupt?
Wenn ich mich ständig auf den gegenwärtigen Moment konzentriere und alle Ablenkungen und Anhaftungen loslasse, erscheint mir das mehr als schwierig umzusetzen. Ich bräuchte dafür eine sehr hohe Disziplin und Hingabe – wo ich jetzt schon weiß, dass ich das nicht aufbringen kann. Und auch nicht möchte. Wenn ich 24/7 gegenwärtig wäre, würde ich auch einige Aspekte im meinem Leben vernachlässigen – ausgelassene Kreativität, ein Fallenlassen in Tagträumereien, Individualität und auch den Sinn für Humor. Ich stelle mir so ein permanentes achtsam-sein auch ziemlich isoliert und entfremdet von anderen Menschen vor.
Eine wissenschaftliche Studie zu 24/7-Achtsamkeit habe ich nicht gefunden und offen gesagt bezweifle ich, dass dies geht. Selbst erfahrene Zen-Meister:innen sind bestimmt mal unachtsam. Und ich bin überzeugt davon, dass auch unachtsames Verhalten durchaus gesund ist, aber:
Was bedeutet Achtsamkeit?
„Achtsam sein, heißt den gegenwärtigen Moment bewertungsfrei und bewusst wahrzunehmen. Wobei „bewusst“ bedeutet, dass wir uns entscheiden, unsere Aufmerksamkeit absichtlich auf den gegenwärtigen Moment zu lenken, uns nicht ablenken lassen und nicht mental abschweifen. Der „gegenwärtige Moment“ wiederum, beinhaltet auch die eigenen Gefühle, Gedanken und die Umgebung, in die wir eingebettet sind, also das ganze Spektrum des „Hier
und Jetzt“. Nehmen wir diesen gegenwärtigen Moment ohne Bewertung, also bewertungsfrei, wahr, so registrieren wir zwar die Bewertungen, welche geschehen, wie beispielsweise „das ist ein unangenehmer Moment“, gehen jedoch nicht weiter darauf ein, sondern bleiben offen, für das, was der Moment sonst noch bereithält. So treten wir aus dem „Autopilotenmodus“ aus, aus welchem aus Bewertungen und Gedanken automatisch Handlungen erfolgen.“ (Kabat Zinn, 2011).
Aus der Definition des emeritierten Professor an der University of Massachusetts Medical School in Worcester zeigt sich deutlich, wie sehr Achtsamkeit mit dem gegenwärtigen Moment verbunden ist, den wir nicht bewerten oder beurteilen.
Achtsamkeit kann viele Vorteile für die psychische und körperliche Gesundheit haben, wie zum Beispiel Stressabbau, Angstbewältigung, emotionale Regulierung, verbesserte Konzentration und erhöhte Selbstakzeptanz. Zudem gibt es vielfältige Methoden von Achtsamkeit, wozu zeitnah ein weiterer Blogbeitrag folgt.
Wie Achtsamkeit mir im Umgang mit der Angststörung, Depression und schwierigen Gefühlen half und hilft
Depression und Angststörung sind zwei häufige psychische Erkrankungen, die allein in Deutschland Millionen von Menschen betreffen. Auch ich habe seit meiner Kindheit/Jugend Erfahrungen damit. Für (psychische) Erkrankungen gibt es natürlich klare Handlungsempfehlungen, allen voran Psychotherapie und ggf. medikamentöse Therapie. Dies ist mit fachärztlichem Personal zu besprechen. Hier gibt es übrigens Tipps zur Therapieplatzsuche.
Doch Psychotherapie alleine reicht nicht – ich „muss“ da mitmachen und vor allem zwischen den Sitzungen aktiv werden. Und hier kommen individuelle Selbsthilfe-Strategien ins Spiel. Für mich waren das neben dem Besuch von Selbsthilfegruppen oder auch mal dem Verkrümeln, Achtsamkeitsübungen.
Es half und hilft mir, mich meiner eigenen Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen bewusst zu werden. Es gibt verschiedene Achtsamkeitsmethoden, die mich beim Akzeptieren von schwierigen Gefühlen unterstützen und ich nutze auch Achtsamkeitsübungen, wenn ich nervös bin. Seit Jahren hatte ich keine Panikattacken mehr, aber die Angst vor der Angst kenne ich noch – und genau in dem Moment greifen bei mir außenbasierte Achtsamkeitsübungen.
Yoga als achtsame Praxis unterstützt mich in meiner Körperwahrnehmung, autogenes Training beim Einschlafen und Phantasiereisen/Imaginationsübungen helfen mir im Umgang mit meinem Inneren Kind als auch Inneren Helfer:innen. Atemübungen fand ich mal total hilfreich, dann funktionierte es eine zeitlang nicht so gut, da ich psychosomatische Atemprobleme entwickelte (in Folge unverarbeiter Erlebnisse, nicht als Folge von Achtsamkeit an sich) und mittlerweile nutze ich manchmal bewusst Atemübungen, vor allem bei nervösen oder ängstlichen Situationen.
Vorteile von Achtsamkeit im Umgang mit Depression und Angststörung
- Achtsamkeit reduziert Stress. Stress ist ein häufiger Auslöser oder Verstärker von psychischen Erkrankungen. Achtsamkeit hilft, den Stresspegel zu senken, indem sie die Aktivität des sympathischen Nervensystems verringert, das für die „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion verantwortlich ist. Achtsamkeit fördert auch die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, das für die „Ruhe-und-Entspannung“-Reaktion verantwortlich ist. Dies führt zu einer niedrigeren Herzfrequenz, einem niedrigeren Blutdruck und einer besseren Atmung.
- Achtsamkeit verbessert die Stimmung. Depression und Angst sind oft mit negativen Gedanken und unangenehmen Emotionen verbunden, die sich selbst verstärken können. Achtsamkeit hilft, diese negativen Muster zu durchbrechen, indem sie eine objektivere und freundlichere Perspektive auf sich selbst und die Situation ermöglicht.
- Achtsamkeit stärkt die Resilienz, unsere psychische Widerstandsfähigkeit. Depression und Angststörung sind oftmals mit einem verletzten Selbstvertrauen verbunden, viele haben ein geringes Selbstwertgefühl und sind hoffnungslos. Achtsamkeit unterstützt, die Resilienz zu stärken, indem sie das Bewusstsein für die eigenen Stärken und Ressourcen fördert.
Es zeigt, Achtsamkeit hat als wirksame Methode viele Vorteile. Sie kann allein oder in Kombination mit anderen Behandlungen angewendet werden, ist aber natürlich kein Ersatz für eine medizinische oder psychologische/psychotherapeutische Behandlung. Es ist eine wertvolle Ergänzung, um das Wohlbefinden zu verbessern und wieder zu lernen, das Leben zu genießen. Wichtig ist noch zu sagen, dass viele Methoden zu üben sind – kaum etwas klappt von jetzt auf gleich.
Jetzt schrieb ich, dass auch ich ganz unterschiedliche Methoden zur Unterstützung im Alltag nutze und am liebsten schon früher kennengelernt hätte. Und die auch Du kennenlernen kannst:
Online-Workshop zu Selbstfürsorge
Du möchtest mehr auf Dich selbst achten und Dein Wohlbefinden steigern? Dann ist dieser Online-Workshop genau das Richtige für Dich! Hier lernst Du, wie Du Selbstfürsorge praktizieren kannst, indem Du verschiedene Tools an die Hand bekommst – die Du im Workshop das erste Mal ausprobierst. Diese Methoden unterstützen Dich im Abbau von Stress, bei der Abgrenzung von Emotionen anderer Menschen als auch dem Akzeptieren eigener (schwieriger) Gefühle. Du erfährst auch, wie du Selbstfürsorge in Deinen Alltag integrieren kannst, um Deine Lebensqualität zu verbessern.
Du enthältst:
90 minütige Aufzeichnung des Workshops vom 28.07.23
22-seitiges Workbook (pdf)
6 Selbsthilfe-Übungen als Audio-Dateien zum Download
Spare 15 % mit dem Rabattcode „gedankenreisen15“
Achtsamkeit ist also ein hilfreiches Tool, was wir – je nach Methode – unauffällig und überall anwenden können. Hilfreich ist es, Achtsamkeit als eine flexible und individuelle Praxis zu betrachten, die Du je nach Bedarf und Situation anpassen kannst. Es kann zu einem wertvollem Werkzeug werden, um das eigene Wohlbefinden zu verbessern und das Leben bewusster zu gestalten. Aber es sollte nicht als ein absolutes Ziel oder eine starre Regel verstanden werden. Wie bei allem im Leben gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift.
Wie kannst Du Achtsamkeitsstress vermeiden?
- Sei Dir bewusst, warum Du Achtsamkeit praktizierst. Was sind Deine Ziele und Motivationen? Was erhoffst Du Dir davon? Was macht Dir Spaß daran? Was sind Deine Grenzen und Bedürfnisse?
- Sei Dir bewusst, wie Du Achtsamkeit praktizierst. Welche Methoden und Techniken passen zu Dir? Wie oft und wie lange praktizierst Du? Wie integrierst Du Achtsamkeit in Deinen Alltag? Wie gehst Du mit Schwierigkeiten oder Hindernissen um?
- Sei Dir bewusst, mit wem Du Achtsamkeit praktizierst. Hast Du einen Lehrer oder eine Lehrerin, die Dir vertrauenswürdig und kompetent erscheint? Hast Du eine Gruppe oder ein Netzwerk, die Dir Unterstützung und Austausch bieten? Wie stehst Du zu den Meinungen und Erfahrungen anderer?
- Sei Dir bewusst, dass Achtsamkeit kein Wettbewerb ist. Vergleiche Dich nicht mit anderen oder mit einem Idealbild. Akzeptiere Dich selbst und Deine Erfahrungen so, wie sie sind. Erkenne Deine Fortschritte und Erfolge an. Sei nachsichtig mit Dir selbst und Deinen Fehlern.
- Sei Dir bewusst, dass Achtsamkeit kein Zwang ist. Praktiziere nur so viel und so oft, wie es Dir gut tut. Nimm Dir auch Zeit für andere Aktivitäten und Interessen. Mach auch mal Pause oder ändere Deine Routine. Erlaube Dir auch mal Unachtsamkeit oder Ablenkung.
Wichtig zu beachten ist, dass auch Meditation nicht für alle Menschen und alle Situationen geeignet ist – dazu schrieb mir der Psychologe und Neurowissenschaftler Dr. JAP den Gastbeitrag „Wenn Meditation eher schadet“.
Beides kann eine wunderbare Bereicherung für Dein Leben sein – wenn Du sie auf eine Weise praktizierst, die zu Dir passt und Dich nicht stresst. Von daher wünsche ich Dir viel Mut und Erkundungsfreude, die für Dich passende Methode zu finden.
Schreibe doch gerne mal in die Kommentare, was Du zum Thema Achtsamkeit denkst und was Deine Erfahrungen damit sind.