Vergangenen Donnerstag berichtete L. in dem Gastbeitrag „Wenn Eltern sterben, ohne tot zu sein.“ über ihre Erfahrungen mit emotionalem Missbrauch und dem Kontaktabbruch zur Familie. In einem früheren Beitrag schrieb ich ebenfalls darüber, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen musste: Kontaktabbruch – eine Form von Selbstschutz. Heute geht es aus einer weiteren Perspektive um Familie.
Familie – Noras Wort zum Sonntach
Familie – ein schwieriges Thema. Nicht nur in meiner Therapie, auch im Alltag.
Denn manchmal erhalte ich ungefragt Tipps, wie ich trotz meiner psychischen Erkrankung eine gute Mama werden könnte. – Möchte ich gar nicht.
Auch werde ich noch oft entsetzt angesehen, wenn mein Gegenüber erfährt, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen habe. Dass dies (gesundheitliche) Gründe hat, interessiert oftmals nicht. Immerhin macht „man“ sowas nicht, weil „man“ hat ja nur eine/n Mutter/Vater und überhaupt, Familie ist das wichtigste. Da muss „man“ eben zusammenhalten.
Doch diese Augen-zu-und-durch-Mentalität wollte ich nicht mehr. Konnte ich nicht mehr.
So zog ich einen Schlussstrich, trennte mich. Das war der Beginn meiner Genesung.
Natürlich gehörten zum Genesungsprozess noch so viel mehr, zugleich war es eben eine starke Wendung – von ca. Anfang 2017 bis Oktober 2021 hatte ich keine ernstere depressive Krise mehr. Im Oktober letzten Jahres gab es einen Zusammenbruch, der jedoch andere Gründe hatte. Auch ließen seit 2017 die Panikattacken bei mir nach. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt welche hatte.
Und auch wenn mir manchmal der Strick draus gedreht wird, wie undankbar und respektlos ich sei, dass ich nicht mehr mit meinen Eltern rede, so ist es schlichtweg ein Zeichen von Selbstliebe. Ja, ich fing an, mich liebzuhaben und für mich zu sorgen – ganz egal, was gesellschaftliche Konventionen sind.
Ein defektes Stromkabel, welches nicht mehr zu reparieren ist, schmeißen wir auch weg. Denn bei einer erneuten (Strom-)Verbindung kann es zu einem Spannungsüberschlag kommen, der zu einem Lichtbogen führt, der so heiß werden kann, so dass ein Kabelbrand entstehen kann. Die daraus folgenden Verletzungen und Schäden können wir uns denken. (Quelle: sanier.de)
Ähnlich ist es bei (familiären) Beziehungen. Manchmal sind sie so kaputt und irreparabel, dass es bei neuen Begegnungen/Verbindungen zu derart großen Belastungen kommt, die für andere nicht auszuhalten sind, so dass Folgeschäden entstehen.
In diesem Sinne finde ich es auch etwas unglücklich formuliert, wenn man sagt, dass ich als Kind den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen habe. Ich mein, der Kontakt war vorher schon kaputt und angeknackst.
Hab ich ihn abgebrochen, weil ich mich „gerettet“ habe? Oder ist er durch die Erziehung, Umstände uä. gebrochen?
Wir dürfen für uns einstehen, Verantwortung ergreifen und unser Leben so gestalten, wie WIR das wollen.
Wir können nicht ändern, was uns mal passiert ist oder was wir erlebt haben. Wir haben jedoch Einfluss darauf, wie wir damit umgehen und unser weiteres Leben führen wollen.
Ja, ich weiß, das ist keineswegs leicht und soll hier auf keinen Fall nach der Tschakka-Methode klingen. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass wir unser aller Leben beeinflussen können. Jeder Mensch auf seine individuelle Art und Weise.
Alternative Familie
Lange Zeit hatte ich die Vorstellung einer eigenen Großfamilie mit fünf Kindern. Meine Gesundheit machte mir einen Strich durch die Rechnung und es gibt verschiedene Gründe, weshalb ich bzw. wir uns gegen ein Kind entscheiden.
Und dennoch sind wir Eltern – von unserem Sternenkind als auch von unseren Frettchen. Mit meinen Schwiegereltern, Geschwistern und Freundschaften erweitert sich meine Familie.
Letzten Endes können wir, während wir aus dem „klassischen“ Rahmen von Familie fallen, unser eigenes Familienbild erschaffen.
Auch wenn unsere Haustiere kein Kinderersatz sind, so sind sie Teil der Familie. Ja, manchmal sprechen mein Freund und ich von uns als ihren Eltern. Ich finde es voll schön, manchmal Mama genannt zu werden oder meinen Freund den Papa zu nennen, während ich mit den Frettchen rede. Wenn Du keine Tiere hast oder keine besondere Nähe zu ihnen, dann klingt das vielleicht etwas „verrückt“. Aber das ist es nicht.
Nähe und Bindung – genau das sind die Stichworte. Etwas, was mir erst neulich bewusst geworden ist.
2010 war ich für ca. drei Wochen wg. Panikattacken und Depressionen in einer Psychiatrie. Die dortige Bezugstherapeutin empfahl mir Haustiere. Gut, liest man ja öfter, dass diese vielen Menschen bei der Tagesstruktur unterstützen und dabei, dass man eben einen Lichtblick in seinem Zuhause hat.
Als ich in den vergangenen Wochen Corona-bedingt auf Abstand zu meinem Partner und vor allem auf Abstand zu unseren Frettchen war, wurde es auf einmal klar: Meine Tiere unterstützten mich nicht (nur) im Bezug zu meiner Tagesstruktur, sondern sie hatten eine Bindung zu mir.
Bindung. Ver-Bindung. Familie.
Meine Frettchen erreichen etwas in mir, wo mir teilweise die Worte zu fehlen.
Mit meinem Partner habe ich eine Beziehung auf der Erwachsenen-Ebene. Die Tiere stillen ein Bedürfnis, was etwas Kindliches ist.
Es ist ein andere Form von Geborgenheit, Liebe und – da haben wir es wieder – Verbindung.
Für Haustiere wird es nochmal ein eigenes Wort zum Sonntag geben. Doch für hier und heute, sind waren und sind unsere Frettchen (und vor ihnen die Ratten) schlichtweg ein enorm wichtiges Bindeglied – in der Verbindung mit mir und meinem Freund. In unserer Familie.
Was bedeutet für Dich „Familie“?