„Ich war alleine – mit meinen Gedanken, Gefühlen und alleine mit dieser Situation.“
„Ich wusste nicht, was ich machen soll, an wen ich mich wenden kann oder wo ich Hilfe bekomme.“
„Ich verlor das Interesse an einstigen Hobbies, fühlte mich ausgepowert.“
Dies sind Aussagen, in denen ich mich als Mensch mit Depression und Angststörung komplett wieder erkenne. Und vermutlich finden sich darin auch andere Betroffene wieder. Doch diese Sätze sind nicht von Erkrankten, sondern von Angehörigen.
Betroffenen könnte ich sofort unterstützende Anlaufstellen nennen – für Angehörige wird das schon mau. (Ich empfehle neben Selbsthilfegruppen für Angehörige gerne den BApK – Bundesverband Angehöriger psychisch Kranker)
Depression und andere psychische Erkrankungen betreffen unser ganzes Leben – und Angehörige sind Teil dessen.
Ganz egal, ob Du Mutter, Vater, Kind oder Partner:in eines psychisch erkrankten Menschen bist – Du bist mit mittendrin. Wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen. Denn es macht natürlich einen Unterschied, ob Dein erkranktes Kind minderjährig ist oder auch, ob Du mit der erkrankten Person zusammen wohnst oder nicht.
Ich schreibe gelegentlich darüber, wie Angehörige mit Betroffenen umgehen können, was sie (nicht) sagen sollten – zugleich finde ich es wichtig, aus einer anderen Perspektive auf jene angehörigen Personen zu schauen.
Denn sie sind – ebenso wie Betroffene – Menschen mit Gefühlen, die einer herausfordernden Situation gegenüberstehen. Es ist wichtig, dass wir alle uns miteinander auseinandersetzen und auf uns achten.
Nicht nur wir Betroffenen bedürfen Verständnis, sondern auch Angehörige – wir können nicht von heute auf morgen einen perfekten (🙄) Umgang erwarten, wo andere alles (🙄) richtig machen. Wir alle sind doch in einem Prozess, in welchem wir lernen – wenn wir dazu bereit sind.
Und das betrifft Betroffene ebenso wie Angehörige.
Eben setzte ich hinter „perfekten“ und „alles“ dieses Smiley mit den verdrehten Augen – es sind absolutistische Wörter, die noch sehr oft in unserer Sprache verwendet werden. Und das in einem Zusammenhang, der überhaupt nicht absolut ist. Es gibt nicht den perfekten Umgang und auch ist nicht „alles“ möglich.
Es gibt so viel mehr als nur schwarz und weiß!
Wann immer ich von Unterstützung für Menschen mit Depression (…) schrieb, kamen sogleich Kommentare, die in Extreme ausschlugen:
„Wir können Erkrankten nicht alles abnehmen.“
„Sie – die Erkrankten – sollten nicht immer alles gemacht bekommen.“
„Es ist ungesund, nie oder auf Dauer nicht rauszugehen.“
„Menschen mit Depression sind nicht immer nett.“
„Es ist nicht leicht, als angehörige Person immer alles zu berücksichtigen und geduldig zu sein.“
Auch hier werden Worte wie alles, immer, nie, auf Dauer verwendet. Es geht mir in dem was ich an Inspirationen für Betroffene und Angehörige schreibe nie (ich verwende das Wort jetzt bewusst), darum, allgemeingültige, pauschale Aussagen zu treffen, die für immer und ewig in Stein gemeißelt sind.
Wenn ich sage – und auch das führte unlängst auf Facebook zu Diskussion – das mir in einer depressiven Krise ein Einigeln und Verkrümeln gut tut, dann ist das natürlich temporär begrenzt und nicht für die nächsten drei Monate so angedacht. Wenn ich sage, dass Angehörige ihren depressiv-erkrankten Mitmenschen unterstützen können, in dem sie mal den Haushalt, den Papierkram oder das Kochen übernehmen, dann sage ich damit doch nicht, dass das jetzt für die nächsten drei Monate so gilt.
Ich gebe überhaupt keine zeitlichen Vorgaben, da natürlich der individuelle Menschen zu berücksichtigen ist. Es ist ähnlich wie bei körperlich Erkrankten – manch eine Person ist nach einer Woche fitter und wieder selbstständig, andere erst nach drei Wochen.
In meinen Seminaren oder auch Einzelberatungen für Angehörige empfehle ich, natürlich auch auf eigene Grenzen und Ressourcen zu achten. Keinem Menschen – weder der depressiv erkrankten Person, noch der angehörigen – ist damit geholfen, wenn die gesunde angehörige Person unter der Care-Arbeit kaputt geht.
Selbstfürsorge ist nicht nur für Erkrankte, sondern auch für Angehörige wichtig.
Je nach Ausmaß der Erkrankung und der jeweiligen Lebenssituation muss ein an Depressionen oder Angststörung (…) erkrankter Mensch nicht 24/7 betreut und gepflegt werden. Nicht jede Depression bedeutet akute Lebensgefahr und auch Kinder/Jugendliche brauchen im Rahmen der Erkrankung ihren Freiraum. Es kommt bei allen auf den Schweregrad und den jeweiligen – individuellen – Unterstützungsbedarf dar.
Doch wichtig ist auch, dass sich die Angehörigen um sich selbst kümmern und ihre Akkus aufladen. Sei es, dass sie sich alleine mit Freund:innen treffen, räumliche/verbale Grenzen setzen, „Nein“ sagen und ihre eigene Meinung äußern.
Ganz egal, welche Erkrankung jemand hat, besteht kein Freifahrtschein dafür, sich unsozial zu verhalten. Aussagen, wie „Ich nörgle Dich jetzt an, weil ich bin depressiv.“ sind auch für mich als Betroffene ein No Go. Klar kann unsere Erkrankung durchaus Verhaltensweisen erklären, jedoch nicht immer eine Rechtfertigung dar.
Und insofern dürfen Angehörige natürlich ihre Grenzen haben. Mein Partner und ich haben einen Stopp-Satz vereinbart, falls es ihm mal zu viel wird oder er schlichtweg gerade mal keine Zeit oder Lust hat, sich mit meinen Problemen auseinander zu setzen.
Das er Grenzen setzt(e) hat mir wiederum geholfen, mich zu öffnen. Vor allem nahm es mir die Sorge ab, ihn zu sehr zu belasten.
In all unseren Beziehung ist Kommunikation das Mittel der Wahl. So auch zwischen Erkrankten und (gesunden) Angehörigen – um eben gemeinsam einen Weg zu finden, den beide gehen können, ohne (noch mehr) unter der Situation zu leiden.
In meinem Buch „Depression – und jetzt? Wegweiser einer Erfahrungsexpertin“, welches 2020 im Starks-Sture-Verlag erschien, habe ich mich in einigen Kapiteln speziell den Angehörigen gewidmet:
- Wie kann ich nur helfen? – Für Angehörige
- Auch Angehörige dürfen Grenzen haben
- Du musst mich nicht verstehen!
- Keine Ratschläge – was darf ich einem depressiven Menschen überhaupt noch sagen?
- Depressiver Partner gleich depressive Partnerschaft?
Via dem Projekt Seelische Erste Hilfe Leisten finden regelmäßig Seminare zum Thema „Abgrenzung & Eigenschutz“ statt. Wir gehen den Fragen auf den Grund, wie wir als Angehörige:r effektiv kommunizieren; wie wir achtsam und wertschätzend mit uns als auch der betroffenen Person umgehen und wie wir Nein sagen können
Informationen zum Seminar erhältst Du auf der Website seelischeerstehilfeleisten.com
Was sind Deine Erfahrungen als betroffene oder angehörige Person betreffend einer psychischen Erkrankung? Schreibe mir gerne einen Kommentar!